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MANAGEMENT
_WISSENSCHAFTSTRANSFER
personalmagazin 01/16
R
ichtet sich der Blick nach ganz
oben auf die Unternehmens-
spitze, sei es der Vorsitzende
eines Vorstandsgremiums
oder der Sprecher einer Geschäftsfüh-
rung, werden Supermänner und zuneh-
mend auch Superfrauen erwartet. Ein
CEO soll Visionär und Leader sein, Stra-
tege, Kommunikator, Rollenmodell und
bestens zahlreiche weitere Aufgaben
gegenüber Eigentümern, Mitarbeitern,
Kunden sowie Öffentlichkeit und Medien
erfüllen. Zudem ist er Chef im obersten
Führungsgremium. Der Vorstandsvorsit-
zende ist Führungskraft.
Nun ist jeder CEO auch nur ein ganz
normaler Manager und Mensch, der
möglicherweise beim Thema „Führung“
schwächelt. Etwa indem er in der Vor-
standsriege Favoriten hat und persönliche
Präferenzen auslebt. Dies würde zu offen-
sichtlicher oder unbewusster Ungleichbe-
handlung führen. Doch wirkt sich das nur
unangenehm auf die vernachlässigten
Mitvorstände aus? Mitnichten, denn:
Die Autoren einer deutsch-chinesischen
Von
Martin Claßen
und
Christian Gärtner
CEO: Supermann und Mensch?
SERIE.
Hat der CEO im Vorstand Favoriten, wirkt sich das auf den Unternehmenserfolg
aus, so eine chinesisch-deutsche Studie. HR sollte auch dort die Kooperation fördern.
Zu oft hakt es noch am Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis. Darum
stellen der Berater Martin Claßen und der Wissenschaftler Christian Gärtner im Personal-
magazin die Kernergebnisse internationaler Studien vor und ziehen Schlussfolgerungen
für das deutsche HR-Management. In diesem Serienteil geht es um die chinesisch-
deutsche Studie „Getting Everyone on Board: The Effect of Differentiated Transformatio-
nal Leadership by CEOs on Top Management Team Effectiveness and Leader-Rated Firm
Performance“, die im Journal of Management erschienen ist.
(ak)
SERIE
Studie weisen nach, dass eine solche
Ungleichbehandlung die Wirksamkeit
des obersten Gremiums und, schlimmer
noch, den gesamten Unternehmenser-
folg deutlich reduziert. Beide negativen
Effekte zeigen sich übrigens besonders
stark bei weiblichen CEOs und Unterneh-
mensführern mit inkonsistenten mora-
lischen Grundsätzen.
Was man sich merken sollte
Auch an der Unternehmensspitze geht es
um Teaming, für das der CEO mit seinem
Führungsverhalten eine nicht unerhebli-
che Mitverantwortung trägt. Wechselsei-
tiger Informationsaustausch, kollabora-
tive Zusammenarbeit und gemeinsame
Entscheidungsfindung begünstigen die
Leistungsstärke von Top-Management-
Teams und verbessern das Firmenergeb-
nis. Denn Mitvorstände erwarten vom
CEO als Chef gute und anständige Füh-
rung, wie jeder andere Mitarbeiter. Auch
in der Führungsriege eines Unterneh-
mens gelten die menschlichen Motivati-
onsmechanismen. Wer sich von seinem
Vorgesetzten vernachlässigt fühlt, schwä-
chelt bei Engagement und Resultaten –
selbst wenn man von jedem Top-Manager
eine gehörige Portion an Eigenmotivation
erwarten kann. Als besonders kritisch
identifizieren die Autoren die Bildung
eines „inner circle“, also einer sichtba-
ren Grenze zwischen der CEO-nahen „in-
group“ und der vernachlässigten „out-
group“ an der Peripherie. Wer mit dabei
ist, hat nicht nur mehr Einfluss, sondern
auch weniger das Gefühl von Macht- oder
Statusverlust.
Für wen oder was das Ganze gilt
Die konzeptionell und methodisch an-
spruchsvolle Studie wurde in 101 Toch-
terunternehmen eines chinesischen
Staatskonzerns der Telekommunikations-
industrie durchgeführt. Zunächst treffen
die Ergebnisse nur für dieses Setting zu.
Wenn man zudem die stärker kollekti-
vistischen Strukturen in China berück-
sichtigt, verglichen mit bislang eher hi-
erarchischen westlichen Gesellschaften,
wären die Ergebnisse noch weniger auf
hiesige Verhältnisse übertragbar.
Die Autoren verweisen allerdings auf
Ergebnisse anderer Studien, in denen
erstaunlich viele Gemeinsamkeiten zwi-
schen östlichen und westlichen Top-Ma-
nagern nachgewiesen wurden. Denn auch
in Mitteleuropa wird der starke Mann an
der Spitze mehr und mehr verabschiedet
zugunsten partizipativer Führungsmo-
delle eines Leitungskollektivs. In diesem
bekommen die in der Studie ermittelten
„soft facts“ und das Beziehungsmanage-
ment eine größere Bedeutung. Übrigens:
In unserer Hemisphäre wäre ein solches
Analysedesign, in dem unter anderem die
persönlichen Beziehungen und die mo-