DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 2/2017 - page 13

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2|2017
Die ursprüngliche Planung
Die ersten Planungen für das Grundstück, das
damals als Parkplatz genutzt wurde, sahen al-
lerdings noch ganz anders aus. Ursprünglich war
ein konventionelles Wohnhaus mit elf öffentlich
geförderten Wohnungen vorgesehen; dazu eine
Tiefgaragemit elf Stellplätzen sowie weitere Stell-
plätze an der Oberfläche. So war das Projekt im
Frühjahr 2011 baurechtlich genehmigt worden.
Doch im Fortlauf der Planungen stellte sich bald
heraus, dass eine Tiefgarage aufgrund beengter
Platzverhältnisse und gründungstechnischer
Schwierigkeiten mit den bewilligten Fördergel-
dern nicht zu realisieren war. „Die Kosten hätten
die Grenzen der Wirtschaftlichkeit gesprengt“,
erinnert sich Architekt Christoph Scheithauer, der
das Haus für die GSWB geplant hat.
Die Tiefgarage musste also weg. Aber wie? Für
Neubauten verlangt die Stadt Salzburg den Nach-
weis von 1,2 Pkw-Stellplätzen pro Wohnung.
Scheithauer hatte eine Idee: Wie wäre es, statt elf
Wohnungen nur zehn zu bauen, die elfte in einen
Fahrradraum umzuwandeln und durch die Ver-
marktung der Wohnungen an autofreie Haushalte
den Stellplatzbedarf des Hauses zu drücken? Mit
dieser Idee als Grundlage erarbeitete der Archi-
tekt ein schlüssiges Mobilitätskonzept, mit dem
er das städtische Planungsamt davon überzeugen
konnte, den Stellplatzschlüssel von 1,2 auf 0,5 zu
senken. Man einigte sich darauf, die Tiefgarage zu
streichen und lediglich fünf oberirdische Stellplät-
ze anzulegen – vier davon für Haushaltemit Auto,
einen für Besucher.
Sechs Haushalte haben somit keinen eigenen
Pkw-Stellplatz. Damit sie auch ohne Auto unein-
geschränkt mobil sein können, schenkte ihnen die
GSWB in den ersten drei Jahren nach Einzug je
eine Jahreskarte für die Kernzone des Salzburger
Verkehrsverbundes, die Mitgliedschaft beim
Was ist preiswürdig amMobilitätskonzept
der Gaswerkgasse 15?
In Salzburgmüssen normalerweise proWohnung
1,2 Pkw-Stellplätze nachgewiesen werden. In der
Gaswerkgasse wurden für zehn Wohnungen je-
doch nur fünf gebaut. Stattdessen erhielten au-
tofreie Haushalte Vergünstigungen, die das Leben
ohne Auto erleichtern, beispielsweise eine Gratis-
Jahreskarte für den Salzburger Verkehrsverbund
und eine Gratis-Mitgliedschaft beim örtlichen
Carsharing-Anbieter.
Angesichts einer ganzen Reihe autofreier
Wohnprojekte, die bereits verwirklicht
wurden, scheint das auf den ersten Blick nur
wenig innovativ.
Projekte wie dieses brechen Denkblockaden auf.
Der Gedanke, jede Wohnung müsse einen Stell-
platz haben, ist fest verankert. Das Mobilitätskon-
zept für die Gaswerkgasse zeigt aber, dass es auch
anders geht. Es unterstützt den Mix verschiedener
Verkehrsmittel und fördert damit bei den Bewoh-
nern ein nachhaltiges Mobilitätsverhalten.
Lässt sich das Mobilitätsverhalten durch
Wohnbau und Wohnumfeld beeinflussen?
Acht von zehn Alltagswegen beginnen oder enden
zu Hause. Eine fahrradfreundliche Architektur
ermuntert die Bewohner, diese Wege mit dem
Fahrrad zurückzulegen.
Das Gleiche gilt für das Wohnumfeld: Ist kein si-
cheres Radfahren möglich, weil es nur stark be-
fahrene Straßen gibt, wird auch für kurze Wege
das Auto genutzt.
Ist das Mobilitätskonzept der Gaswerkgasse
auf andere Wohnbaugesellschaften über-
tragbar?
Auf jeden Fall. In den Städten erleben wir der-
zeit einen sich verstärkenden Trend zumWohnen
ohne Auto. Diesem Trend müssen sich die Unter-
nehmen in der Wohnungswirtschaft anpassen.
Dem stehen jedoch gesetzliche Regelungen im
Wege. Für Wohnungsunternehmen ist es oft
schwer, einen niedrigeren Stellplatzbedarf zu
begründen. Das Konzept der Gaswerkgasse kann
ein Weg sein.
Ist das nicht eher eine Nische? Für die meis-
ten Menschen ist das Auto nach wie vor das
Verkehrsmittel der Wahl.
Stellplatzschlüssel von 1,0 oder höher sind nicht
mehr zeitgemäß. Wer in der Stadt Stellplätze
nachweisen will, ist praktisch zum Tiefgaragen-
bau gezwungen. Das kostet viel Geld und ver-
teuert die Mieten, die sowieso schon in fast allen
Städten steigen, noch zusätzlich. Zudem hat das
Bedürfnis, das Auto vor der Tür stehen zu haben,
an Bedeutung verloren. Unter jungen Leuten geht
der Trend weg vom Autobesitz hin zum Carsha-
ring. Für die ist es wichtiger, online zu sein als ein
Lenkrad in der Hand zu halten.
Herr Gratzer, vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Hartmut Netz.
Interview mit Christian Gratzer
Trend zum Wohnen ohne Auto“
Das Mobilitätskonzept dieses Wohnhauses wurde im Jahr 2015 mit dem Mo-
bilitätspreis des Österreichischen Verkehrsclubs VCÖ in der Kategorie „Wohn-
umfeld, Siedlungsentwicklung und Mobilität“ ausgezeichnet. Der Preis würdigt
Projekte, die einen substanziellen Beitrag für nachhaltige Mobilität leisten. Mit
VCÖ-Sprecher Christian Gratzer sprachen wir über fahrradfreundliche Architek-
tur, nachhaltiges Mobilitätsverhalten und den Trend zum Wohnen ohne Auto.
Weitere Informationen zum
VCÖ-Mobilitätspreis Österreich:
vcoe-mobilitaetspreis
Neubau und Sanierung
Energie und Technik
Rechtssprechung
Haufe Gruppe
Markt undManagement
Stadtbauund Stadtentwicklung
Quelle: VCÖ
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