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RECHT
_MASSENENTLASSUNG
personalmagazin 09/17
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
zes eine die Kündigung vorbereitende
Handlung nicht mehr rechtswirksam
vorgenommen werden darf, stellt sich
schon allgemein die Frage, ob also ein
Zustimmungsantrag nicht bereits un-
wirksam wäre.
Der Gesetzentwurf sieht jedoch vor,
dass mit Zustimmung der Behörde ei-
ne Kündigung ausnahmsweise in der
Schutzfrist möglich sein soll. Dies setzt
logisch voraus, dass auch der Antrag auf
behördliche Zustimmung (und auch eine
Aufnahme in die Massenentlassungsan-
zeige bei Kündigung mit behördlicher
Zustimmung) möglich sein muss. Die
eine Vorbereitungshandlung in der
Schutzfrist verbietende EuGH-Entschei-
dung und auch die Gesetzesbe-gründung
selbst beziehen sich dagegen auf Fälle,
in denen nach Ablauf der Schutzfrist oh-
ne behördliche Zustimmung gekündigt
werden sollte. Für die Fälle der Kündi-
gung in der Schutzfrist mit Zustimmung
der Behörde sind also Vorbereitungs-
handlungen zulässig.
Auswirkung bei Schwerbehinderten
In Betracht kommen auch Kündigungen
von schwerbehinderten oder gleich-
gestellten Arbeitnehmern. Hier ist die
Zustimmung des Integrationsamts vor
der Kündigung einzuholen. Seit Anfang
2017 ist nunmehr auch die Schwerbe-
hindertenvertretung bei der Kündigung
von Schwerbehinderten anzuhören.
Eine ohne diese Beteiligung ausgespro-
chene Kündigung ist unwirksam. Ne-
ben der Tatsache, dass die dem § 102
BetrVG nachgebildete Vorschrift keine
Zustimmungsfiktion und auch keine
Fristen für die Äußerung vorsieht, ist
zumindest klar, dass eine Beteiligung
zu erfolgen hat. Dies ersetzt selbstver-
ständlich nicht die Einbeziehung des
Integrationsamtes, sodass dann wieder
die eingangs genannte Rechtsprechung
zum Tragen kommen könnte.
Sonstige mögliche Vorverlagerungen
Noch schwieriger sieht die Beurteilung
bei anderen Sonderkündigungsschutz-
konstellationen aus, die zwar eine Zu-
stimmung von Behörden oder anderer
Gremien vorsehen, aber keine spezielle
AGG-Diskriminierung enthalten. Als
Beispiel sei der Sonderkündigungs-
schutz von Betriebsräten, Wahlbewer-
bern oder des Wahlvorstands genannt.
Führt man den Gedanken fort, dass
bereits Vorbereitungshandlungen und
Zustimmungsanträge eine „Entlassung“
im Sinne des § 17 KSchG darstellen,
muss man sich auch fragen, ob nicht
bereits die Anhörung des Betriebsrats
nach § 103 BetrVG hierunter fällt. Denn
auch hier ist der Ausspruch der Kündi-
gung – ähnlich wie bei Beteiligung der
staatlichen Behörde – abhängig von der
Zustimmung des Betriebsrats. Vergleich-
bar ist auch die Situation, in der eine
Zustimmung nicht erteilt wird. Dann
bleiben dem Arbeitgeber ebenfalls nur
zwei Möglichkeiten: vom Kündigungs-
entschluss abzusehen oder zum Gericht
zu gehen, um die Zustimmung dort er-
setzen zu lassen.
Lösung: Wellenartiger Personalabbau
Der einfachste Weg, um die dargestell-
ten Probleme zu vermeiden ist, die An-
zeigepflicht zu umgehen und wellenar-
tig, also in mehreren Tranchen, Personal
abzubauen, das unter den Schwellen-
werten des § 17 KSchG liegt. Der Abbau
mag sich zwar langwieriger gestalten,
vermeidet jedoch die unüberschaubaren
Risiken der Massenentlassung.
Soweit die Massenentlassungsan-
zeige nicht zu vermeiden ist, müssen
sämtliche Arbeitnehmer mit Sonderkün-
digungsschutz vorsorglich aufgenom-
men werden, sofern dieser vorbereitende
Maßnahmen für die Kündigung auslöst
(Behördenantrag). Dies gilt selbst dann,
wenn der endgültige Kündigungsent-
schluss sowie die tatsächliche Möglich-
keit des Ausspruchs der Kündigung zu
diesem Zeitpunkt noch nicht feststehen.
Das entspricht zwar nicht dem Sinn und
Zweck der Massenentlassungsanzeige,
es hilft aber, die Kündigungsschutzver-
fahren rechtssicherer zu gestalten.
Ob die Agentur für Arbeit hierdurch
einen besseren Überblick über die auf
den Arbeitsmarkt fließenden Arbeitneh-
mer erhält, bleibt offen. Ab wann diese
Taktik „vorsorglich lieber alle aufneh-
men“ wegen Sinnentleerung der Mas-
senentlassungsanzeige die Gefahr der
Unwirksamkeit beinhaltet, ist derzeit
nicht abzusehen.
DR. ANNE DZIUBA
ist
Fachanwältin für Arbeitsrecht
und Partnerin bei der Beiten
Burkhardt Rechtsanwaltsge-
sellschaft mbH in München.
DR. KATHRIN BÜRGER
ist Partnerin bei der Beiten
Burkhardt Rechtsanwaltsge-
sellschaft mbH in München.
Die neuen Urteile des BVerfG sowie des BAG haben weitere Unsicherheit bei
Massenentlassungen geschaffen. Zusammengefasst sollten Arbeitgeber eine Massen-
entlassungsanzeige nach folgenden Leitlinien erstellen:
•
Im Zweifel wegen der EuGH-Rechtsprechung alle Mitarbeiter aufnehmen, die auch nur
entfernt an Arbeitnehmer erinnern (Fremdgeschäftsführer, Leiharbeitnehmer).
•
Im Zweifel alle sonderkündigungsgeschützten Arbeitnehmer aufnehmen, bei denen im
relevanten 30-Tage-Zeitraum ein Zustimmungsantrag an die Behörde gestellt wurde.
Vorsorglich alle aufnehmen
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