personalmagazin 06/2016 - page 77

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06/16 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Achtung des Privat- und Familienlebens)
begründet. Unter Berücksichtigung des
EGMR-Urteils lässt sich schwer argu-
mentieren, dass der Arbeitgeber bei
Zugriffen auf das dienstliche E-Mail-
Postfach gegen das Fernmeldegeheimnis
verstoßen soll, sofern die Privatnutzung
erlaubt ist. Weiter hat der EGMR fest-
gehalten, dass es dem Arbeitgeber frei-
steht, die Privatnutzung von Internet
und E-Mail zu erlauben. Der Mitarbeiter
verfügt über keinen Anspruch auf pri-
vate Nutzung.
Auch das LAG Berlin (Urteil vom
14.1.2016, Az. 5 Sa 657/15) hat sich
kürzlich wieder mit der Kontrolle der
Internetnutzung auseinandergesetzt.
Auch hier lehnte das LAG Berlin die
Anwendbarkeit des TKG im Arbeitsver-
hältnis bei erlaubter Privatnutzung ab.
Diesmal hat das Gericht seine Auffas-
sung näher begründet. Nach dem LAG
Berlin liegt in einem Arbeitsverhältnis
kein Angebot von Telekommunikation
an einem Dritten vor, da ein Mitarbei-
ter nicht außerhalb des Unternehmens
steht. Für die Stellung als Diensteanbie-
ter nach dem TKG ist es gemäß § 3 Nr.
10 TKG erforderlich, dass Telekommu-
nikation nachhaltig einem Dritten ange-
boten wird. Diese Voraussetzung für die
Anwendbarkeit des TKG fehlt nach dem
LAG Berlin im Arbeitsverhältnis. Daher
sollen die Kontrollen des Arbeitgebers
an den Vorgaben des BDSG zu messen
sein.
Folgen: Kontrollen des Arbeitgebers
nach Datenschutzgesetz bewerten
Nach dem BDSG kann der Arbeitge-
ber auf das dienstliche E-Mail-Postfach
stichprobenartig zugreifen. Auf diese
Weise kann kontrolliert werden, wie
häufig der Mitarbeiter den E-Mail-Ac-
count privat nutzt. Im Fall eines kon-
kreten Tatverdachts (zum Beispiel bei
Compliance-Verstößen) kann der Arbeit-
geber das Postfach lückenlos für einen
begrenzten Zeitraum kontrollieren. Die
E-Mail-Überwachung ist dann einzustel-
len, wenn der Verdacht aufgeklärt wird
oder es sich zeigt, dass die Kontrolle
erfolglos bleibt. Ist der Mitarbeiter we-
gen Urlaub oder Krankheit abwesend,
ist es nach dem BDSG zulässig, dass
ein Vertreter sich um das betreffende
E-Mail-Postfach kümmert und dienst-
liche Korrespondenz bearbeitet. Auch
kann der Arbeitgeber bei Anwendbar-
keit des BDSG die Verbindungsdaten
von Internet- und E-Mail-Nutzung zur
Antivirus- und Spamabwehr schranken-
los auswerten. Technische Fehler bei
der Ausfilterung von E-Mails haben hier
keine Auswirkung.
Weiter kann der Arbeitgeber die Ver-
bindungsdaten stichprobenartig erhe-
ben, um eine übermäßige Privatnutzung
zu kontrollieren. Eine lückenlose Aus-
wertung des Internetnutzungsverhal-
tens des Arbeitnehmers – wie Kontrolle
der aufgerufenen Webseiteninhalte –
kann dagegen nur bei konkretem Tat-
verdacht eines Pflichtverstoßes erfolgen.
Dies kann dann der Fall sein, wenn kon-
krete Anhaltspunkte dafür vorliegen,
dass der Mitarbeiter auf verbotene por-
nografische oder extremistische Inhalte
aus dem Internet zugreift.
Führt der Arbeitgeber unzulässige
Kontrollen von Internet und E-Mail
durch, kann er sich bei Anwendbarkeit
des BDSG nicht wegen einer Verletzung
des Fernmeldegeheimnisses nach §
206 StGB strafbar machen. Allerdings
stellen rechtswidrige Kontrollen der
DR. PHILIPP BYERS
ist
Fachanwalt für Arbeitsrecht
und Partner der Kanzlei Lutz
Abel Rechtsanwaltsgesell-
schaft mbH am Standort München.
betrieblichen Telekommunikation eine
Ordnungswidrigkeit nach § 43 Abs. 2
Nr. 1 BDSG dar, die mit einer Geldbu-
ße von bis zu 300.000 Euro sanktioniert
werden kann.
Erlangt der Arbeitgeber aus einer un-
zulässigen Kontrolle Erkenntnisse, mit
denen er eine Kündigung begründen
will, besteht regelmäßig ein prozessu-
ales Beweisverwertungsverbot. Dem Ar-
beitgeber ist es im Regelfall verwehrt,
Beweise zu verwerten, die zugleich eine
Verletzung des Persönlichkeitsrechts
des Arbeitnehmers nach sich ziehen. Ar-
beitgeber sind auch bei Anwendbarkeit
des BDSG gut beraten, Kontrollen von In-
ternet und E-Mail nur nach sorgfältiger
Prüfung durchzuführen.
Praxis: Wie mit den unterschiedlichen
Rechtsauffassungen umzugehen ist
Als Fazit sollten Unternehmen die dar-
gestellten Gerichtsentscheidungen nur
mit Vorsicht genießen. Das Bundesar-
beitsgericht hat sich bisher noch nie
mit der Anwendbarkeit des TKG im
Arbeitsverhältnis auseinandergesetzt.
Daher lässt sich zu Fragen aus diesem
Bereich keine höchstrichterliche Recht-
sprechung heranziehen.
Weiter ist zu berücksichtigen, dass
die Aufsichtsbehörden bislang an der
Anwendbarkeit des TKG festhalten. Der
Arbeitgeber sollte daher davon ausge-
hen, dass die Bestimmungen des TKG bei
erlaubter Privatnutzung weiterhin gel-
ten und seine Vorgehensweise danach
ausrichten. Die überzeugende Gegenan-
sicht, wonach das TKG im Arbeitsver-
hältnis keine Anwendung findet, sollte
offensiv vertreten werden, wenn Unter-
nehmen mit möglichen Datenschutz-
verstößen durch die Aufsichtsbehörden
konfrontiert werden.
Urteile zur Anwendung
des TKG im Arbeitsver-
hältnis sind mit Vorsicht
zu genießen, denn das
BAG hat dazu noch nicht
entschieden und Behör-
den wenden das TKG an.
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