personalmagazin 5/2015 - page 43

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05/15 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
ten und neuen Standorten. Wenig über-
raschend findet Wissensaustausch eher
unter gleichartigen als zwischen unter-
schiedlichen Standorten statt, weshalb
der positive Effekt auf die Leistung des al-
ten Standorts empirisch bestätigt werden
konnte. Allerdings nimmt dieser positive
Effekt im Zeitverlauf ab. Der Zauber des
Neuen verfliegt mit einiger Zeit, weil man
sich zu ähnlich geworden ist.
Fazit: Mit negativen Auswirkungen auf
ihre betriebswirtschaftlichen Ergebnisse
in der Post-Merger-Phase sind bisherige
Standorte konfrontiert, wenn ähnliche
Firmen in der Nähe akquiriert werden.
Auf ein interessantes Phänomen weist
der Autor in einem Nebensatz hin: Die ei-
gentlich nachteiligen Auswirkungen auf
das Geschäftsergebnis imAltgeschäft bei
räumlicher Nachbarschaft und faktischer
Ähnlichkeit könnten sich auch ins Ge-
genteil verkehren. Nämlich dann, wenn
sich der bisherige Standort besonders
anstrengt, dem zugekauften Standort sei-
ne Überlegenheit beweisen möchte oder
das Neue als Gefahr für sich ausmacht.
Für wen oder was das Ganze gilt
Ganz klar, die Einzelfallanalyse eines
Unternehmens aus einem anderen Kon-
tinent mag nicht eins zu eins auf mit-
teleuropäische Verhältnisse übertragbar
sein. Aber dafür bietet das sorgfältige
Analysedesign mit Bezug auf tatsäch-
liche betriebswirtschaftliche Resultate
weit mehr als die gängigen zusammen-
gestückelten Befragungsstudien. In de-
nen – sind wir doch ehrlich – können
kaum mehr als Stimmungen aus der Ta-
gesform heraus ermittelt werden.
Der wichtigste und der nachdenk­
lichste Satz der Studie
Der wichtigste Satz in der Studie lautet:
„Kurz- und langfristige Effekte müssen
unterschieden werden: Auf lange Sicht
kann ein Akquisitionsprogramm durch-
aus sehr viel Sinn machen, nur sind die
Auswirkungen in der unmittelbaren
Post-Merger-Phase nicht notwendiger-
weise positiv“ (Seite 2.698). Der nach-
Standorte könnte dabei gleichfalls the-
matisiert werden. Gut möglich, dass für
das dortige Kümmern nicht nur Appelle
ausreichen, sondern konkrete Anreize
geschaffen werden müssen, besonders
bei unattraktiven Lokationen.
Sind Akquisitionen dann angesichts
solcher Pro- und Kontrapunkte letztlich
ein Nullsummenspiel? Nicht, wenn man
– wie die Studie zeigt – den Zeitverlauf
beachtet: Falls die Leistung einer Einheit
kurz nach der Akquisition sinkt, dann
sollten weder HR noch die Führungskräf-
te in Aktionismus verfallen. Besser wäre
es, zu analysieren, wie viele Experten
zu Harmonisierungszwecken abgezo-
gen werden und wie viel unterschiedlich
bleiben muss, damit die gegenseitige Be-
fruchtung noch funktioniert.
Die Studie aus Sicht der HR-Praxis
weitergedacht
Eine Verlagerung der „Management
Attention“ von bisherigen auf umlie-
gende zugekaufte Standorte schafft an
etablierten Lokationen interessante
Freiräume für kompetente und enga-
gierte Stellvertreter. Warum sollte das
alte Management nicht an den neuen
Standorten seine Erfahrungen einbrin-
gen, während das neue Management an
den alten Standorten weitere Erfahrung
sammelt? Eine wesentliche Barriere
könnte in der fehlenden Rückkehrop-
tion für graue Eminenzen liegen sowie
an deren mit der Reife abnehmenden
Bereitschaft, sich auf Dauer an neuen
Standorten zu bewähren – abgesehen
von gelegentlichen Geschäftsreisen zur
Auflockerung des Alltags.
denklichste Satz in der Studie: „Unter-
nehmen sollten Einheiten in der Nähe
großer bestehender Standorte kaufen,
weil so abgelenkte Manager und abflie-
ßende Ressourcen besser kompensiert
werden können“ (Seite 2.698).
Konsequenzen für HR-Management
Das kann HR daraus lernen: Akquisitio-
nen sind stets eine Herausforderung für
den Personalbereich – wobei der Fokus
auf der kulturellen beziehungsweise
systemischen Dimension liegt. In Post-
Merger-Phasen besteht HR-Management
meist aus dem Versuch menschlicher
Annäherung, etwa durch Teambuilding,
oder anderweitiger Harmonisierung wie
der Angleichung von Prozessen, Syste-
men und Strukturen. Zudem wird ver-
sucht, tatsächlichen oder vermeintlichen
Defiziten im Wollen und Können der
neuen Kollegen durch Qualifizierungs-
maßnahmen zu begegnen. Diese Studie
belegt, was viele ahnen: Wenn der Wis-
sens- und Qualifizierungsaufbau bei den
neuen Einheiten zulasten der alten geht,
gibt es keine Win-Win-Situation. Und
während sich durch die Gleichmachung
von Menschen, Prozessen, Systemen und
Strukturen Standardisierungsvorteile ge-
winnen lassen, verliert man gleichzeitig
an Innovationspotenzial.
Die Studie weist noch auf ein anderes
Phänomen hin: Wenn die Geschäftsfüh-
rung dazu neigt, sich auf benachbarte
und gleichartige Standorte des zuge-
kauften Unternehmens zu stürzen sowie
entfernte, andersartige Lokationen ledig-
lich an der langen Leine führt, müssen
diese Effekte mit ihren möglicherweise
negativen Konsequenzen auf das alte
und neue Business verdeutlicht werden.
Bei aller Begeisterung für naheliegende
und verwandte Neuerwerbe, darf der
ökonomische Erfolg des Bisherigen nicht
zurückgestellt werden. Darauf sollte
HR-Management bei seinen Kulturinter-
ventionen sowie mittels Führungskräf-
teentwicklung aufmerksam machen. Die
vermutlich an Bequemlichkeit liegende
Vernachlässigung ferner und fremder
MARTIN CLASSEN
führt seit
2010 sein Beratungsunter-
nehmen People Consulting.
DR. CHRISTIAN GÄRTNER
ist Assistenz-Professor an der
Universität der Bundeswehr
in Hamburg.
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