grundls grundgesetz
Boris Grundl
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wirtschaft + weiterbildung
04_2019
Was ist für Sie mutig? Aus einem Flugzeug zu sprin-
gen, dem Chef die Meinung zu sagen oder alles
hinzuschmeißen, um mit dem Rucksack durch
die Welt zu reisen? Schnell wird klar: Mut ist sehr
individuell – je nachdem, wovor jemand Angst hat.
Was mutig scheint, ist es oft nicht. Denn Mut heißt
nicht die Abwesenheit von Angst, sondern deren
Überwindung – und Ängste gibt es so viele, wie
es Menschen gibt. Hier soll es um den Mut als die
Lebensaufgabe gehen, uns selbst zu erkennen,
anzuerkennen, uns auszuhalten und unserer eige-
nen Wahrheit zu folgen.
Das mag simpel klingen, ist jedoch eine enorme
emotionale Leistung. Denn die soziale Erwünscht-
heit zerrt an uns. Unsere Umwelt „weiß“, was
gut und richtig ist, und wie gern tun wir alles, um
beliebt, anerkannt und „erwünscht“ zu sein. Das
fühlt sich zwar gut an, besitzt aber nur kurze Halt-
barkeit und muss immer stärker gefüttert werden.
Das Verlangen wird zur Sucht nach Bestätigung von
außen. Mut heißt, weder mit noch gegen den Strom
zu schwimmen, sondern durch stetige Reflexion
immer authentischer und wahrhaftiger zu werden.
Sich im Spiegelbild zu fragen, ob man wirklich so ist
und so sein will, um dann seine limitierenden Pro-
grammierungen abzuwerfen, ist mutiger als jeder
Fallschirmsprung. Denn diese Selbstüberwindung
kann Konsequenzen haben. Wer sich so entwickelt,
spricht frei, wirkt unbequem und hält anderen den
Spiegel vor. Die Gefahr besteht, dass sich Freunde,
Kollegen und sogar der eigene Partner abwenden.
Wenn Langeweile oder Unzufriedenheit unser Leben
prägen, ist ein Preis zu zahlen: Erst wenn ich mich
selbst verändere, kann ich die Welt verändern. Mit
diesem Mut können wir viele Probleme lösen – wie
Gewalt in der Familie, Betrug und Ungerechtigkeit
am Arbeitsplatz. So halten vom Partner misshan-
delte Frauen zwanghaft das sozial erwünschte Bild
der glücklichen Familie aufrecht. Männer geben
das Umgekehrte erst recht nicht zu. Und wer es
bemerkt, braucht Mut, um für das Opfer
einzutreten und ihm zu helfen. Doch Vor-
sicht! Es ist leichter, solche Limitierungen
bei anderen anzuprangern, als die eigenen
zu überwinden. Was tun wir nicht alles für
Likes und Klicks. Es ist fast so, als würden
wir uns emotional prostituieren. So fördert unsere
gelten als verantwortungsbewusst, wenn sie loyal
sind. Kein Wunder also, dass Seilschaften in Unter-
nehmen entstehen und Schummel-Software so
lange unentdeckt bleibt.
Nebenbei verrät der Verantwortungsindex auch,
dass insbesondere hilfsbereite Frauen als verant-
wortungsbewusst gelten. Kein Wunder, dass sie in
der Karriere nur schwer aufsteigen und an Einfluss
gewinnen. Wir bewundern den Mut der Geschwister
Scholl und zögern, vor unserer eigenen Tür Klarheit
zu schaffen. Wir verschwenden Energie auf die
Feigheit anderer und sollten doch besser für unsere
Wahrheit einstehen.
Ändern neue Einsichten unsere Meinung, ist es dop-
pelt mutig, das zuzugeben und für unseren neuen
Weg zu argumentieren. Ohne andere zu missionie-
ren! So wie Gandhi, der sagte: „Ich bin der Wahrheit
verpflichtet, wie ich sie jeden Tag erkenne, und
nicht der Beständigkeit.“ So können wir immer freier
agieren und damit auch die Welt ein bisschen freier
machen. Was für eine schöne Vorstellung.
Paragraf 74
Werde selbst zum
Mut-Bürger
Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden.
Er gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein jüngstes Buch heißt „Verstehen heißt nicht einverstanden sein“ (Econ
Verlag, Oktober 2017). Boris Grundl zeigt, wie wir uns von oberflächlichem Schwarz-Weiß-Denken verabschieden. Wie wir lernen, klug hinzuhören, differenzierter
zu bewerten, die Perspektiven zu wechseln und unsere Sicht zu erweitern.
Was tun wir nicht alles für Likes?
Es ist fast so, als würden wir uns
emotional prostituieren.
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