wirtschaft und weiterbildung 6/2018 - page 3

editorial
wirtschaft + weiterbildung
06_2018
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Aus Freude über gut besuchte offene Seminare stellte ein großes
Trainingsinstitut einige Fotos davon ins Internet. Daraufhin ergoss sich
ein Shitstorm rechter Wutbürger über das Institut. Auf einem Foto war
eine Teilnehmerin mit Kopftuch zu sehen. Weil man ihr das nicht
abgenommen habe, betreibe man – so der Vorwurf – Propaganda für den
„islamistischen Terror“. Außerdem sei es Verrat, „Muselschlampen“ mit
Wissen aufzumunitionieren, weil die uns eh nur die Arbeit wegnähmen.
Hätte man mich gefragt, ich hätte noch vor einigen Wochen dazu
geraten, solchen Unsinn zu ignorieren, weil sich die Pöbler über
Aufmerksamkeit nur freuen. Aber ein gerade erschienenes Taschenbuch
(siehe Seite 60) hat mich eines Besseren belehrt. Zum einen nimmt
Ignorieren das Entsetzen der Menschen nicht ernst, die für das
Trainingsinstitut arbeiten. Zum andern habe ich von Hasnain Kazim,
dem Autor des Taschenbuchs, gelernt, wie man sich Hassmails elegant
widersetzen kann.
Ein Scharfmacher schrieb (stark verkürztes Beispiel) an Kazim:
„Ausländer, die kein Deutsch können, raus aus Deutschland!!!!!!!!“.
Kazim antwortete: „Leute, die anonym Stammtischparolen im
Internet verbreiten, raus aus dem Internet“. Die Reaktion darauf war:
„Sind Sie nicht der Meinung, Ausländer sollten Deutsch lernen??????“
Kazim schrieb: „Ich bin der Meinung, dass die übermäßige Nutzung von
Ausrufe- und Fragezeichen unter Strafe stehen sollte.“ Gleichzeitig
paraphrasiert er den Stammtischbruder: „Ich bin mit Ihnen einer
Meinung: Menschen, die in ein anderes Land ziehen, sollten die dortige
Sprache lernen. Das gilt auch für Deutsche auf Mallorca.“
Die geniale Kommunikationsstrategie von Kazim besteht darin, dass er
sich zwar mit Ironie wehrt, dann aber, wenn noch Hoffnung besteht, auf
wertvolle Denkanstöße umschaltet. Dem gerade erwähnten
Mailschreiber rät er: „Tun Sie doch den ersten Schritt und üben Sie mit
den Leuten, deutsch zu sprechen. Laden Sie sie ein. Über Rauswerfen
können Sie immer noch reden, wenn alle Bemühungen (also auch Ihre)
gescheitert sind.“ Wer schweigt, akzeptiert den Hass. Reden wir.
Hassmails
Viele Inspirationen mit
unserem neuen Heft
wünscht
Martin Pichler, Chefredakteur
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