wirtschaft und weiterbildung 1/2016 - page 64

grundls grundgesetz
Boris Grundl
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wirtschaft + weiterbildung
01_2016
„Das ist doch menschlich!“ Wie oft haben Sie
diese Pauschalabsolution gehört? Schon paradox:
Führungskräfte vergeben Aufgaben im Glauben an
die Stärke eines Menschen und um ihn zu fördern.
Danach tolerieren sie sein Versagen, weil Menschen
generell schwach sind? Faul an diesem Paradox ist
das Ausschnittsdenken, auf dem es fußt. In einem
Kontext, empfinden wir Menschen als „stark“ und
in einem anderen als „schwach“. Bei der Vorstands-
präsentation ein Riese und als verlässlicher Ehe-
partner ein Zwerg.
Was sind Ihre Mitarbeiter: Ursache oder Lösung
Ihrer Probleme? Vermutlich meldet sich gerade
eine impulsive Antwort – je nach Stimmung oder
Tagesform, Ihren letzten Erlebnissen oder Ihrer
persönlichen Geschichte. Damit reagieren Sie auf
Ihre ungefilterte Wahrnehmung, auf das, was Sie
„sehen“. Unser Gehirn liebt es einfach, selbst wenn
die Welt viel komplexer ist. Doch so praktisch diese
Neuro-Sparmaßnahme auch ist, so gefährlich ist sie
auch. Sie führt entweder zur Überidealisierung von
Menschen oder zur Pauschalverurteilung – gut oder
schlecht, nichts dazwischen.
Konrad Adenauer forderte, die Realität zu akzep-
tieren: „Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind. Es
gibt keine anderen.“ Wohlgemerkt: Adenauer sagte
„wie sie sind(!)“ und nicht „wie wir sie gerne hätten“.
Die Frage ist: Wie erweitern wir unseren Horizont,
um dieser Vereinfachungsfalle zu entgehen? Die
Antwort: Indem wir mindestens zwei Blickwinkel
einnehmen. Fragen Sie nicht nur: „Was sehe ich?“,
sondern ebenfalls: „Von wo schauen ich und andere
gerade auf die Situation?“ Ein Glas Wasser in der
Wüste Gobi wirkt anders, als wenn Sie gerade von
der DLRG vor dem Ertrinken gerettet worden sind.
Diese Übung ist sehr augenöffnend. Es kommt also
darauf an, die Blickwinkel von Menschen verstehen
zu lernen. Wenn Sie einen Konflikt austragen, hören
Sie nicht nur den Vorwurf des anderen, sondern
auch, von wo aus er etwas beurteilt. Das schafft
Klarheit. Und die bedeutet im stressigen
Führungsalltag bessere Entscheidungen.
Jack Welch war langjähriger Chef von
General Electric. Sehr erfolgreich, sehr
umstritten. Er wurde 1999 vom Wirt-
schaftsmagazin Fortune zum „Manager
des Jahrhunderts“ gekürt. Er bezeichnet die wich-
tigste Eigenschaft einer Führungspersönlichkeit
als „Realitätsprinzip“ – die Fähigkeit, die Welt so zu
sehen, wie sie wirklich ist, und nicht so, wie man sie
gerne hätte.
Peter Drucker nannte das „intellektuelle Ehrlich-
keit“. Beiden geht es um den Kampf, die Realität
zu erkennen. Erfolgreich bestanden, führt er meist
zum stärksten Blickwinkel für griffige Entschei-
dungen. Also: Ist der Mensch von Natur aus stark
oder schwach, gut oder schlecht? Sie kennen längst
die Antwort: Er ist beides.
Natürlich hat jeder Mensch unterschiedliche Anla-
gen. In jedem stecken Wahrheit und Lüge, Stärke
und Schwäche, Gutes und Schlechtes. Doch so
wahr das ist, so schwierig ist es auch, dieses „Viele
im Menschen“ bei sich und anderen aushalten zu
können. Um dann zu fördern, was Führung auszeich-
net: Klarheit, Ehrlichkeit, Integrität, Respekt und
Verantwortung. Je mehr wir diese Stärken in uns
entdecken, umso besser können wir sie anderen
weitergeben. Eine lebenslange Aufgabe. Eine mit so
viel Sinn, dass schon von Lebenssinn gesprochen
werden kann. So geht es mir auf jeden Fall.
Paragraf 41
Sieh den Menschen
wie er ist:
stark und schwach
Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden.
Grundl gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein neues Buch heißt: „Mach mich glücklich. Wie Sie das bekommen,
was jeder haben will“ (Econ Verlag 2014, 246 Seiten, 18 Euro). Boris Grundl beweist, wie leicht und schnell das Verschieben von Verantwortung in eine
zerstörerische Sackgasse führt und die persönliche Weiterentwicklung und damit Glück verhindert.
So praktisch die Neuro-Sparmaß­
nahmen unseres Gehirns auch sind,
so gefährlich sind sie!
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