wirtschaft und weiterbildung 7-8/2015 - page 62

fachliteratur
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wirtschaft + weiterbildung
07/08_2015
In vielen Unternehmen dräut den Mitarbeitern dieser
Tage wieder ein Déjà-vu-Erlebnis: HR verschickt eine
E-Mail an alle Führungskräfte mit der Aufforderung,
bis zu einer bestimmten Frist die jährlichen Mitar-
beitergespräche durchzuführen. Diese erhalten dann
wiederum eine meist einstündige Terminanfrage von
ihrem Vorgesetzten. Während des Gesprächs wird die
Zielerreichung fürs vergangene Geschäftsjahr festge-
stellt, werden Leistungsziele fürs nächste Jahr und
meist auch noch gleich Entwickungsziele vereinbart.
Mit diesem immer wieder aktuellen und mindestens
ebenso kontrovers diskutierten HR-Instrument be-
schäftigt sich nun Professor Armin Trost in seinem
neuen Buch „Unter den Erwartungen“. Der Titel lässt
erahnen, wie Trost zu der jährlichen Gesprächsinsze-
nierung steht: Seiner Meinung nach bleibt das In-
strument oft hinter den hohen Erwartungen zurück,
die vor allem HR und die Geschäftsführung daran
haben. Für viele Führungskräfte und Mitarbeiter ist
es jedoch bloßes Theater. Einer der Hauptgründe
dafür ist Trost zufolge der Wandel im Führungs-
verständnis: Wer modernen Managementansätzen
folgt, seinen Mitarbeitern als Partner auf Augenhöhe
begegnet und vielleicht schon das ganze Jahr über
kontinuierliches Feedback gibt, kann sich nicht eines
Instruments bedienen, das auf Hierarchie beruht.
Was gilt es also zu tun: das Mitarbeitergespräch ab-
zuschaffen, wie es einige besonders radikale Perso-
naler und Führungskräfte schon gefordert haben? So
weit will Trost dann doch nicht gehen. In manchen
Arbeitskontexten, die etwa durch zentrale Vorga-
ben und wenig Handlungsspielraum gesprägt sind,
könnten standardisierte Verfahren durchaus sinnvoll
sein. In einem agilen Arbeitsumfeld versage es hin-
gegen weitestgehend. Nun dürfte man aber nicht den
Fehler machen, den Nutzen mit dem Instrument zu
verwechseln und Mitarbeitergespräche ganz abzu-
schaffen. Denn das Warum (Leistung honorieren, Ta-
lente fördern) sei richtig – es gelte, passende Formen
auch für agile Unternehmen zu finden, so Trost.
Ein agiles Unternehmen könnte über Peer-Rating
nachdenken, etwa in Form von „Instant Feedback“,
möglicherweise mit gamifizierenden Elementen (die
Mitarbeiter können sich gegenseitig Punkte oder
Abzeichen verleihen). Oder darüber, das Talent Ma-
nagement vom Mitarbeitergespräch zu entkoppeln.
Manche Instrumente könnten daneben auch er-
satzlos gestrichen werden. Einige dieser Vorschläge
werden Personalern und Führungskräften möglicher-
weise bekannt vorkommen, sie wurden schon an
anderer Stelle geäußert. Trost schafft es aber, dieses
so kontroverse Thema mit einem umfassenden Blick
darzustellen, der sich nie auf eine Seite beschränkt
und Praxis und Wissenschaft vereint.
Jährlich grüßt das Murmeltier
MITARBEITERGESPRÄCHE
Armin Trost
ist Professor an der Business School der Hochschule
Furtwangen, unter anderem mit den Schwerpunkten
Talent Management und Zukunft der Arbeit. Zuvor
lehrte er an der FH Würzburg und war bei SAP tätig.
AUTOR
Armin Trost
Unter den Erwartungen: Warum das jährliche
Mitarbeitergespräch in modernen Arbeits-
welten versagt, Wiley, 2015,
223 Seiten, 34,99 Euro
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