WOHNUNGSPOLITISCHE INFORMATIONEN 25/2016 - page 5

BUNDESPOLITIK
Schnell bauen, günstig wohnen:
Eignet sich der industrielle Wohnungsbau als Vorbild?
Berlin – Die Bundeshauptstadt steht vor der Herausforderung, innerhalb kurzer Zeit zahlreiche Wohnungen zu bau-
en und gleichzeitig im Bestand günstige Mieten zu erhalten. Ob bei der Bewältigung dieser Aufgaben der industrielle
Wohnungsbau und die großen Wohngebiete der DDR Impulse geben können, wurde auf einer Fachtagung anlässlich
des 30. Geburtstags der Berliner Großsiedlung Hellersdorf diskutiert.
Foto: STADT UND LAND
Dr. Bernd Hunger
Referent
für Stadtentwicklung
Spitzenverband der Woh­
nungswirtschaft GdW
wi: Große Wohnsiedlungen haben in
der breiten Öffentlichkeit mit einem
schlechten Image zu kämpfen. Wie-
steht Hellersdorf heute da?
Ingo Malter:
Das Image hat sich ent­
scheidend verbessert. Das Problem war
hausgemacht, weil man zur Wende die
Wohngebiete stigmatisiert und abgewer­
tet hat. Es brauchte dann über 20 Jahre,
um Vorurteile aufzubrechen. Wir haben
viel investiert, nicht nur materiell und bau­
lich, sondern auch an Mühe und Sozial­
arbeit.
Welches sind diese Vorteile, Herr Dr.
Hunger?
Dr. Bernd Hunger:
Der Typus der aufge­
lockerten Stadtlandschaft hat den Vorteil,
dass er grüne Räume mit einer relativen
Dichte verbindet. Außerdem gibt es pro­
fessionelle Vermieter, die in Quartierszu­
sammenhängen gestalten können. Der
dritte Vorteil ist, dass Wohnungen und
Gemeinbedarfseinrichtungen gleichzei­
tig und ausbalanciert geplant und gebaut
wurden. Und schließlich sind die industriell
errichteten Gebiete viel flexibler umbaubar,
als man anfangs gedacht hat.
Trotz allem gibt es in den großen Sied-
lungen soziale Probleme. Kann es
gelingen, wieder stärker eine sozial
gemischte Struktur zu schaffen?
Malter:
Da bin ich ausgesprochen optimis­
tisch. Natürlich ist ein großflächiges Wohn­
gebiet, das ein relativ niedriges Preis­
niveau hat, immer auch Zuzugsort für
Menschen mit niedrigem Einkommen,
denen man aber nicht a priori unterstel­
len darf, sie seien sozial prekär. Wenn ich
sehe, welche Schwierigkeiten wir in man­
chen innerstädtischen Quartieren haben,
dann sind die Herausforderungen in den
Großsiedlungen überschaubar.
Dr. Hunger:
Die großen Siedlungen sind
nie Ursache, sondern allenfalls Austra­
gungsort von sozialen Konflikten. Sie
sind für breite Schichten der Bevöl­
kerung gebaut. Wichtig ist, dass die
Menschen hier die gleichen Chancen
wie Menschen in anderen Stadtteilen
haben. Der sensibelste Punkt ist dabei
die Belegungspolitik: Wenn die Kommu­
nen – gerade vor dem Hintergrund der
Flüchtlingsthematik – zu einer rigideren
Belegungspolitik zurückkehren wür­
den, dann wären die Nachbarschaften
schnell überfordert und die Siedlungen
wirklich gefährdet.
INTERVIEW
Foto: Jens Rötzsch
Ingo Malter
Geschäftsführer
STADT UND LAND Wohn­
bauten-Gesellschaft mbH
Die 1980er Jahre sollten das Wohnungspro­
blem in der DDR lösen. Allein für Ost-Berlin
gaben die Verantwortlichen deshalb das Ziel
aus, jährlich 23.000 neue Wohnungen zu
errichten. Ein erheblicher Teil dieser Neu­
bauwohnungen sollte auf ehemals landwirt­
schaftlich genutzten Flächen rund um das
Gut Hellersdorf entstehen. 1985 bezogen
die ersten Mieter ihre Neubauwohnungen;
bis 1990 waren 42.000 Wohnungen für
100.000 Menschen fertig gestellt. „Die Auf­
gabe, schnell dringend benötigten Wohn­
raum zu schaffen, stellt sich heute wieder“,
betonte Berlins Stadtentwicklungssenator
Andreas Geisel
auf einer Fachtagung,
die das Kompetenzzentrum Großsiedlun­
gen e.V. anlässlich des 30. Geburtstags
von Berlin-Hellersdorf und seines eigenen
15. Geburtstags im Juni in Berlin gemein­
sam mit dem Stadtbezirk veranstaltete. Für
Senator Geisel stellt das Weiterbauen in
den großen Siedlungen eine wichtige Auf­
gabe dar. Allein in Hellersdorf sind nach sei­
nen Worten 20 Teilflächen identifiziert, auf
denen rund 2.000 Wohneinheiten gebaut
werden können. „Dabei“, unterstrich Gei­
sel, „müssen wir behutsam vorgehen und
auf das Angebot an Freiraum und Grünflä­
chen achten.“
Verbessertes Image oder Großsied-
lungs-Bashing?
Insgesamt stehen die großen Wohngebiete
wie Marzahn oder Hohenschönhausen und
insbesondere Hellersdorf heute besser da,
als in der Nachwendezeit befürchtet wer­
den musste.
Monica Schümer-Strucks-
berg
, ehemalige Regierungsdirektorin in
der Senatsverwaltung für Stadtentwick­
lung, berichtete, dass es in den 90er Jah­
ren auf politischer Ebene umstritten gewe­
sen sei, ob überhaupt Investitionen in die
großen Siedlungen fließen sollten oder ob
nicht Abriss die bessere Lösung sei. Und
Ingo Malter
, Geschäftsführer der landes­
eigenen Wohnungsbaugesellschaft Stadt
und Land, machte darauf aufmerksam,
dass um die Jahrtausendwende 15 Prozent
der Wohnungen der Wohnungsbaugesell­
schaft Hellersdorf leer standen.
Es sei daher, betonte Dr.
Bernd Hunger
,
Vorsitzender des Kompetenzzentrum Groß­
siedlungen, überhaupt nicht selbstverständ­
lich, dass Hellersdorf heute eine beliebte
Wohngegend ist. Vielmehr sei die positive
Entwicklung der politischen Weichenstellung
der 90er Jahre zu verdanken, als erhebliche
Mittel in diese Siedlungen flossen und es so
gelang, das unfertige Wohngebiet Hellers­
dorf zu einer grünen Wohnstadt zu entwi­
ckeln. Dass Hellersdorf auch von der Quali­
tät der ursprünglichen Planung profitierte,
machten auf der Berliner Fachtagung damals
verantwortliche Architektinnen wie Dr.
Ute
Baumbach
und
Elfi Czaika
deutlich: Das
ursprüngliche Konzept legte die Basis dafür,
dass es gelang, mit seriellem Wohnungs­
bau Quartiere mit eigener Gestaltqualität
und Identität zu schaffen. Heute beträgt
der Leerstand im Hellersdorfer Bestand der
Stadt und Land nur noch 1,5 Prozent. „Die
Großwohnsiedlungen sind insbesondere
für junge Familien mit Kindern wieder inte­
ressant geworden“, stellte Stadtentwick­
lungssenator Geisel fest. „Fakt ist, dass die
meisten Vorbehalte gegenüber Großwohn­
siedlungen Vorurteile sind.“ Dabei seien
diese Siedlungen „unverzichtbar für die
Wohnraumversorgung eines großen Teils
der Bevölkerung“. Eine Gefahr jedoch sieht
Bernd Hunger: Eine einseitige Belegungspo­
litik könnte die soziale Stabilität der großen
Wohngebiete gefährden.
(hung)
Die neue Broschüre „30 Jahre Wohnstadt
Hellersdorf“ ist kostenfrei zu beziehen über:
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