BUNDESPOLITIK
Schnell bauen, günstig wohnen:
Eignet sich der industrielle Wohnungsbau als Vorbild?
Berlin – Die Bundeshauptstadt steht vor der Herausforderung, innerhalb kurzer Zeit zahlreiche Wohnungen zu bau-
en und gleichzeitig im Bestand günstige Mieten zu erhalten. Ob bei der Bewältigung dieser Aufgaben der industrielle
Wohnungsbau und die großen Wohngebiete der DDR Impulse geben können, wurde auf einer Fachtagung anlässlich
des 30. Geburtstags der Berliner Großsiedlung Hellersdorf diskutiert.
Foto: STADT UND LAND
Dr. Bernd Hunger
Referent
für Stadtentwicklung
Spitzenverband der Woh
nungswirtschaft GdW
wi: Große Wohnsiedlungen haben in
der breiten Öffentlichkeit mit einem
schlechten Image zu kämpfen. Wie-
steht Hellersdorf heute da?
Ingo Malter:
Das Image hat sich ent
scheidend verbessert. Das Problem war
hausgemacht, weil man zur Wende die
Wohngebiete stigmatisiert und abgewer
tet hat. Es brauchte dann über 20 Jahre,
um Vorurteile aufzubrechen. Wir haben
viel investiert, nicht nur materiell und bau
lich, sondern auch an Mühe und Sozial
arbeit.
Welches sind diese Vorteile, Herr Dr.
Hunger?
Dr. Bernd Hunger:
Der Typus der aufge
lockerten Stadtlandschaft hat den Vorteil,
dass er grüne Räume mit einer relativen
Dichte verbindet. Außerdem gibt es pro
fessionelle Vermieter, die in Quartierszu
sammenhängen gestalten können. Der
dritte Vorteil ist, dass Wohnungen und
Gemeinbedarfseinrichtungen gleichzei
tig und ausbalanciert geplant und gebaut
wurden. Und schließlich sind die industriell
errichteten Gebiete viel flexibler umbaubar,
als man anfangs gedacht hat.
Trotz allem gibt es in den großen Sied-
lungen soziale Probleme. Kann es
gelingen, wieder stärker eine sozial
gemischte Struktur zu schaffen?
Malter:
Da bin ich ausgesprochen optimis
tisch. Natürlich ist ein großflächiges Wohn
gebiet, das ein relativ niedriges Preis
niveau hat, immer auch Zuzugsort für
Menschen mit niedrigem Einkommen,
denen man aber nicht a priori unterstel
len darf, sie seien sozial prekär. Wenn ich
sehe, welche Schwierigkeiten wir in man
chen innerstädtischen Quartieren haben,
dann sind die Herausforderungen in den
Großsiedlungen überschaubar.
Dr. Hunger:
Die großen Siedlungen sind
nie Ursache, sondern allenfalls Austra
gungsort von sozialen Konflikten. Sie
sind für breite Schichten der Bevöl
kerung gebaut. Wichtig ist, dass die
Menschen hier die gleichen Chancen
wie Menschen in anderen Stadtteilen
haben. Der sensibelste Punkt ist dabei
die Belegungspolitik: Wenn die Kommu
nen – gerade vor dem Hintergrund der
Flüchtlingsthematik – zu einer rigideren
Belegungspolitik zurückkehren wür
den, dann wären die Nachbarschaften
schnell überfordert und die Siedlungen
wirklich gefährdet.
INTERVIEW
Foto: Jens Rötzsch
Ingo Malter
Geschäftsführer
STADT UND LAND Wohn
bauten-Gesellschaft mbH
Die 1980er Jahre sollten das Wohnungspro
blem in der DDR lösen. Allein für Ost-Berlin
gaben die Verantwortlichen deshalb das Ziel
aus, jährlich 23.000 neue Wohnungen zu
errichten. Ein erheblicher Teil dieser Neu
bauwohnungen sollte auf ehemals landwirt
schaftlich genutzten Flächen rund um das
Gut Hellersdorf entstehen. 1985 bezogen
die ersten Mieter ihre Neubauwohnungen;
bis 1990 waren 42.000 Wohnungen für
100.000 Menschen fertig gestellt. „Die Auf
gabe, schnell dringend benötigten Wohn
raum zu schaffen, stellt sich heute wieder“,
betonte Berlins Stadtentwicklungssenator
Andreas Geisel
auf einer Fachtagung,
die das Kompetenzzentrum Großsiedlun
gen e.V. anlässlich des 30. Geburtstags
von Berlin-Hellersdorf und seines eigenen
15. Geburtstags im Juni in Berlin gemein
sam mit dem Stadtbezirk veranstaltete. Für
Senator Geisel stellt das Weiterbauen in
den großen Siedlungen eine wichtige Auf
gabe dar. Allein in Hellersdorf sind nach sei
nen Worten 20 Teilflächen identifiziert, auf
denen rund 2.000 Wohneinheiten gebaut
werden können. „Dabei“, unterstrich Gei
sel, „müssen wir behutsam vorgehen und
auf das Angebot an Freiraum und Grünflä
chen achten.“
Verbessertes Image oder Großsied-
lungs-Bashing?
Insgesamt stehen die großen Wohngebiete
wie Marzahn oder Hohenschönhausen und
insbesondere Hellersdorf heute besser da,
als in der Nachwendezeit befürchtet wer
den musste.
Monica Schümer-Strucks-
berg
, ehemalige Regierungsdirektorin in
der Senatsverwaltung für Stadtentwick
lung, berichtete, dass es in den 90er Jah
ren auf politischer Ebene umstritten gewe
sen sei, ob überhaupt Investitionen in die
großen Siedlungen fließen sollten oder ob
nicht Abriss die bessere Lösung sei. Und
Ingo Malter
, Geschäftsführer der landes
eigenen Wohnungsbaugesellschaft Stadt
und Land, machte darauf aufmerksam,
dass um die Jahrtausendwende 15 Prozent
der Wohnungen der Wohnungsbaugesell
schaft Hellersdorf leer standen.
Es sei daher, betonte Dr.
Bernd Hunger
,
Vorsitzender des Kompetenzzentrum Groß
siedlungen, überhaupt nicht selbstverständ
lich, dass Hellersdorf heute eine beliebte
Wohngegend ist. Vielmehr sei die positive
Entwicklung der politischen Weichenstellung
der 90er Jahre zu verdanken, als erhebliche
Mittel in diese Siedlungen flossen und es so
gelang, das unfertige Wohngebiet Hellers
dorf zu einer grünen Wohnstadt zu entwi
ckeln. Dass Hellersdorf auch von der Quali
tät der ursprünglichen Planung profitierte,
machten auf der Berliner Fachtagung damals
verantwortliche Architektinnen wie Dr.
Ute
Baumbach
und
Elfi Czaika
deutlich: Das
ursprüngliche Konzept legte die Basis dafür,
dass es gelang, mit seriellem Wohnungs
bau Quartiere mit eigener Gestaltqualität
und Identität zu schaffen. Heute beträgt
der Leerstand im Hellersdorfer Bestand der
Stadt und Land nur noch 1,5 Prozent. „Die
Großwohnsiedlungen sind insbesondere
für junge Familien mit Kindern wieder inte
ressant geworden“, stellte Stadtentwick
lungssenator Geisel fest. „Fakt ist, dass die
meisten Vorbehalte gegenüber Großwohn
siedlungen Vorurteile sind.“ Dabei seien
diese Siedlungen „unverzichtbar für die
Wohnraumversorgung eines großen Teils
der Bevölkerung“. Eine Gefahr jedoch sieht
Bernd Hunger: Eine einseitige Belegungspo
litik könnte die soziale Stabilität der großen
Wohngebiete gefährden.
(hung)
Die neue Broschüre „30 Jahre Wohnstadt
Hellersdorf“ ist kostenfrei zu beziehen über:
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