Personalmagazin 8/2017 - page 61

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08/17 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
sondern lediglich auf den Zusammen-
hang von Internetdaten zu Persönlich-
keitsmerkmalen, mit denen wiederum
die berufliche Leistung prognostiziert
werden soll. Die Aussagekraft der Inter-
netdaten ist somit sehr indirekt.
Die Abbildung „Prognosen über Big
Data“ verdeutlicht das Problem. Über die
Big-Data-Technologie lässt sich beispiels-
weise die Gewissenhaftigkeit zu 12,3
Prozent erklären. Die Gewissenhaftigkeit
selbst ist wiederum durchschnittlich zu
5,8 Prozent in der Lage, die berufliche
Leistung zu prognostizieren. Würden wir
nun den direkten Schluss von der Big-
Data-Diagnose auf die berufliche Leis­
tung ziehen, so hätten wir eine Aussage
von gerade einmal 0,7 Prozent. De facto
wissen wir nach dem Einsatz der Techno-
logie also so gut wie nichts über die spä-
tere berufliche Leistung eines Menschen.
Wir bewegen uns nur knapp oberhalb der
Aussagekraft eines Münzwurfs, der bei
null Prozent liegt. Schon ein einfacher
Blick auf die Abschlussnote der beruf-
lichen Ausbildung eines Bewerbers wäre
um ein Vielfaches aussagekräftiger. Für
die übrigen Persönlichkeitsmerkmale
der „Big 5“ sehen die Ergebnisse noch
viel schlechter aus, da sich mit ihnen die
berufliche Leistung deutlich schlechter
vorhersagen lässt als mit der Gewissen-
haftigkeit.
Der Einsatz der Big-Data-Technologie
in der Personalauswahl ist jedoch nicht
nur aufgrund fehlender Belege zur pro-
gnostischen Validität infrage gestellt.
Mit einer Anwendung der Technologie
wären weitere Probleme verbunden:
• Der Anbieter muss im Einzelfall für
jede untersuchte Person Angaben zur
individuellen Ausprägung der Persön-
lichkeitsmerkmale treffen. Hierzu be-
dient er sich eines Algorithmus, der
mit an Sicherheit grenzender Wahr-
scheinlichkeit nicht offengelegt wird.
Der Kunde ist daher nicht in der Lage,
selbst nachzuvollziehen, inwieweit die
Ergebnisse seriös zustande gekommen
sind. Er kauft die sprichwörtliche Katze
im Sack. Die Tatsache, dass er dies bei
den meisten Testverfahren auch macht,
vermag keinen Trost zu spenden. Sie ist
vielmehr Ausdruck eines viel zu unkri-
tischen Umgangs mit diagnostischen
Methoden.
• Es ist fraglich, wie der Anbieter unter
Wahrung des Datenschutzes an alle für
ihn wichtige Infos gelangen will.
• Sofern ohne die Einwilligung der be-
troffenen Personen Daten aus dem In-
ternet gesammelt werden, stellt sich ein
Ethikproblem. Potenzielle und tatsäch-
liche Mitarbeiter haben ein legitimes
Interesse daran, vor einem Arbeitgeber
private Informationen geheim zu halten.
Viele Unternehmen, die sich in den ver-
gangenen Jahren Unternehmenswerte
und Leitbilder zugelegt haben, dürften
hier schnell ein Glaubwürdigkeitspro-
blem entwickeln.
Wer angesichts dieser ernüchternden
Erkenntnisse denkt, man solle lieber
zum guten alten Bauchgefühl zurück-
kehren, der irrt. Zwar ist es heute nicht
unüblich, mal einen Blick ins Internet
zu werfen, um mehr über einen Bewer-
ber zu erfahren. Eine Studie von Van
Iddekinge und Kollegen aus dem Jahre
2013 zeigt jedoch, dass hierdurch keine
besseren Prognosen des beruflichen Er-
folgs möglich werden. Dies überrascht
kaum, eröffnet ein solches Vorgehen
doch wieder Tür und Tor für unzählige
Beurteilungsfehler, von denen die Ver-
antwortlichen irrigerweise glauben,
dass sie ihnen selbst natürlich niemals
unterlaufen würden.
Eine Wunderwaffe gibt es nicht
„Big Data“ gilt heute so manchem als
geheime Wunderwaffe zur Lösung di-
verser Probleme. Wie bei vielen neuen
Technologien (Atomkraft, Weltraum-
forschung, Biotechnologie) erliegt man
auch hier offenbar der Versuchung, über
die visionär denkbaren Möglichkei-
ten das tatsächlich Machbare aus dem
Blick zu verlieren. Im Bereich der Per-
sonalauswahl gibt es bislang jedenfalls
keine empirischen Belege dafür, dass
der Einsatz von Big Data sinnvoll wäre.
Die Anwender würden großen Aufwand
betreiben, um zu bestenfalls 18 Prozent
etwas zu messen, das sie mit weitaus
geringerem Aufwand zu 100 Prozent
messen könnten. Für eine Messung zu
100 Prozent müssten sie die Bewerber
einfach nur einen diagnostisch ausge-
reiften Online-Fragebogen ausfüllen
lassen. Mehr noch, die Informationen,
die sie über Big Data erhalten würden,
wären irrelevant für den eigentlichen
Zweck der Übung, nämlich die Prognose
der beruflichen Leistung.
Wer seine Personalauswahl verbes-
sern möchte, der muss in der Tat viele
alte Zöpfe abschneiden, sich beispiels-
weise abgewöhnen, Bewerbungsunter-
lagen tiefenpsychologisch zu deuten,
Einstellungsinterviews aus dem Bauch
heraus zu führen und irgendwelche Fra-
gebögen allein deshalb einzusetzen, weil
andere es auch tun. Die Forschung bietet
seit vielen Jahren abgesicherte Erkennt-
nisse, mit denen sich die Aussagekraft
der meisten Auswahlverfahren deutlich
erhöhen ließe. Big Data gehört einstwei-
len ebenso wenig zu diesen Methoden
wie der Versuch, auf eigene Faust Bewer-
ber im Internet auszuspähen.
PROF. DR. UWE PETER
KANNING
ist Professor für
Wirtschaftspsychologie an der
Hochschule Osnabrück.
Von Webdaten lassen
sich zwar ein paar Rück-
schlüsse auf die Persön-
lichkeit eines Bewerbers
ziehen. Eine Prognose
der beruf­lichen Leistung
ist aber nicht möglich.
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