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TITEL
_FLÜCHTLINGE BESCHÄFTIGEN
personalmagazin 01/16
Auskunft der Bundesagentur für Arbeit
laufen diverse Feststellungen und Be-
fragungen, sodass erste Einschätzun-
gen möglich sind: „Rund zehn Prozent
der Flüchtlinge haben einen Berufs-
abschluss, etwa acht Prozent verfügen
über einen akademischen Abschluss.
Der Rest – gut 80 Prozent – bringt keine
erkennbare Qualifikation mit“, berich-
tet Jürgen Wursthorn. Doch diese hohe
Zahl an Flüchtlingen ohne Ausbildung
sei durchaus zu relativieren, denn die
wenigsten der Geflüchteten hätten Be-
werbungsunterlagen unter dem Arm,
wenn sie nach Deutschland kommen.
„Hier und da haben Schutzsuchende
Fotografien ihrer Qualifikationen und
Zeugnisse auf dem Handy“, sagt er.
Zur Altersstruktur der Flüchtlinge
kann der Sprecher der Bundesagentur
für Arbeit sagen, dass rund 70 Prozent
unter 35 Jahre alt sind. Etwa 30 Prozent
sind zwischen 15 und 25 Jahren alt.
Königsweg Ausbildung
Nicht nur das jugendliche Alter vieler
Flüchtlinge und mögliche Probleme bei
der Anerkennung von Berufsabschlüs-
sen sprechen dafür, diesen bevorzugt
eine Ausbildung anzubieten. Auch die
aktuelle Gesetzeslage trägt zur hohen
Attraktivität dieser Beschäftigungsform
bei: Flüchtlinge dürfen nach den bereits
genannten drei Monaten Wartefrist zu
gleichen Bedingungen wie Deutsche
eine Berufsausbildung aufnehmen, Ge-
duldete dürfen dies ab dem ersten Tag
ihrer behördlich bestätigten Duldung.
Die Vorrangprüfung entfällt. Gleichzei-
tig ist die Wahrscheinlichkeit, dass die
Flüchtlinge nach Ausbildungsabschluss
in Deutschland bleiben dürfen, hoch.
Arbeitgeber, die Flüchtlinge als Azubis
einstellen, haben somit eine höhere Pla-
nungssicherheit: Dauert die Ausbildung
beispielsweise drei Jahre, dann ist für
diese Zeit der Aufenthalt in Deutschland
garantiert. Die einzige Auflage ist, dass
der Azubi jedes Jahr seinen Aufenthalt
über die örtliche Ausländerbehörde ver-
längern lassen muss. Nach Ende der Aus-
bildungszeit wird die Sachlage erneut
geprüft. Kommt die Behörde dabei zu dem
Schluss, dass der ehemalige Azubi eine
gute Perspektive hat, in dem erlernten
Beruf in Deutschland eigenständig leben
zu können, kann der Aufenthalt unab-
hängig vom Bleiberechtsstatus um ein
Jahr verlängert werden.
Die Vorzeichen stehen also sehr gut,
dass der Arbeitgeber zumindest für ein
Jahr Nutzen aus der investierten Aus-
bildungszeit ziehen kann. Auch die wei-
tere Beschäftigungsperspektive ist gut:
„Nach einer dreijährigen Ausbildung und
einem Jahr Verlängerung ist die Wahr-
scheinlichkeit sehr hoch, dass der ehe-
malige Azubi am Ende anerkannt wird“,
so Jürgen Wursthorn.
Positives aus der Praxis
Dass gerade der Ausbildungsweg von
den Unternehmen gut angenommen
wird, zeigen positive Beispiele aus der
Praxis: So hat die Berufsinitiative Arrivo
Berlin bis Ende Oktober über 25 Flücht-
linge in verschiedene Berliner Firmen in
eine Ausbildung vermittelt. Zuvor bietet
die Initiative in Übungswerkstätten Ein-
blicke in verschiedene Handwerksberufe
und berufsbezogenen Deutschunterricht
an. Auch die Bundesagentur für Arbeit
selbst wird in der Ausbildung von Flücht-
lingen aktiv: Im neuen Ausbildungsjahr
sollen 40 Flüchtlinge bundesweit bei der
BA als Azubis starten.
In Niedersachsen ist am 2. November
das Integrationsprojekt „Handwerkliche
Ausbildung für Flüchtlinge und Asylbe-
werber“ gestartet. Es zielt darauf ab, in al-
len sechs Kammerbezirken Asylbewerber
und Flüchtlinge auf eine handwerkliche
Ausbildung oder Umschulung vorzube-
reiten und in den ersten Monaten ihrer
Ausbildung zu begleiten. Handwerksun-
ternehmen werden etwa bei Verwaltungs-
und Rechtsfragen unterstützt und dabei,
ein internes Patensystem für die Beglei-
tung der „Neuen“ während der Ausbil-
dung aufzubauen.
Auch aus Stuttgart kommen erfreuliche
Nachrichten: Laut IHK-Präsident Georg
Fichtner sind vier Fünftel der befragten
Mitgliedsbetriebe der Region grundsätz-
lich bereit, Flüchtlinge zu beschäftigen.
„Von diesen Betrieben will ein Drittel
Flüchtlinge ausbilden“, so Fichtner. Al-
lerdings benötigten die Firmen entspre-
chende Rahmenbedingungen, fordert er
gemeinsam mit Handwerkskammerprä-
sident Rainer Reichhold. Während der
Ausbildung und mindestens für zwei
Jahre im Anschluss müsse die Arbeitser-
laubnis sichergestellt werden. Reichhold
plädiert zudem für die Aussetzung der
Altersgrenze von 21 Jahren für die Aus-
bildung geduldeter Flüchtlinge.
Mit einer Einstiegsqualifizierung können Unternehmen über ein gefördertes Langzeit-
praktikum testen, ob sie eine geflüchtete Person in Ausbildung nehmen können.
Unternehmen, die Flüchtlinge in Ausbildung nehmen wollen, bekommen meist hoch
motivierte, arbeitswillige Nachwuchskräfte. Aber häufig bringen Geflüchtete persönli-
che Beschäftigungshemmnisse mit – angefangen bei Sprachbarrieren und kulturellen
Unterschieden bis hin zu Traumata durch die Erlebnisse auf der Flucht. Vielen jungen
Flüchtlingen mangelt es daher zunächst an der Ausbildungsreife.
Eine Brücke in die Ausbildung kann zum Beispiel die Einstiegsqualifizierung sein. Diese
ist ein gefördertes Langzeitpraktikum, das mindestens sechs bis maximal zwölf Monate
dauert. Die Agentur für Arbeit fördert die Einstiegsqualifizierung mit einem Zuschuss
von zurzeit 216 Euro zur monatlichen Vergütung und einem pauschalierten Anteil zum
Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Zur Unterstützung für den Berufsschulunterricht
können geduldete Asylbewerber, die seit mindestens 15 Monaten in Deutschland sind,
voraussichtlich ab 2016 ausbildungsbegleitende Hilfen nutzen.
(dfu)
Einstiegsqualifizierung
TIPP