EDITORIAL
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3.2019
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Fühlen ist eine tolle Sache. Sind nicht auf Zahlen gestützte Bauchentschei-
dungen des Managers oft die besten? Storytelling, Home-Staging – all das
gibt potenziellen Käufern ein gutes Gefühl. Und gute Gefühle führen zum
Abschluss (wo auch immer). Deshalb ja die Mipim: Vor ihr wird ein Deal
angesprochen, auf ihr gefühlt, nach ihr gemacht.
Doch Gefühle haben auch ihre Tücken. Populisten spielen mit ihnen. Bür-
gerproteste schießen aus dem Boden. Europaweit fühlen sich Menschen vom
Staat betrogen. Andere Bürger fühlen sich darin so wohl, dass sie unfähig sind,
sich in jemanden einzufühlen, der keine Wohnung findet. Freiburgs Baubür-
germeister Haag, der sich mit einem Bürgerentscheid gegen den geplanten
Stadtteil Dietenbach konfrontiert sieht, beklagt – wie der Berliner Developer
Thomsen – wachsende diffuse Gefühle gegen Investoren, gegen die Obrigkeit.
Immobilienpreise sind gefühlt auf einem hohen Niveau. Aber die Einordnung
in einen 20-jährigen Zeitraum zeige, so Ökonom Raffelhüschen soeben, die
realen Wohnimmobilienpreise seien moderat, wenn wir die Zeit zugrunde
legen, die wir für ein Haus arbeiten müssen. Sein Fazit: „Mehr Mathe, weniger
Gefühl.“ Mag ja sein, aber nicht nur bildungsferne Schichten befassen sich
ungerne mit Zahlen. Wenn staatliche Stellen es nicht schaffen, langfristig,
strategisch, agierend, auf der Klaviatur des Gefühls zu spielen, werden sich
auch hierzulande Probleme à la Gelbwesten verschärfen. Baden-Württemberg
überlegt gerade, Bürgerbeteiligung bei Bauvorhaben einzuschränken. Das mag
logisch sein, würde aber zu Unmut führen. Besser: Besser kommunizieren!
Ihr
Neue Macht des Gefühls
„Reale Immobilienpreise
sind niedrig. Deshalb rät
Bernd Raffelhüschen zu mehr
Mathe und weniger Gefühl.
Eloquent! Ökonomisch richtig!
Bringt aber nichts.“
Dirk Labusch
, Chefredakteur