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7|2017
RECHT
BGB § 536; ZPO § 291; TrinkwasserVO § 16 Abs. 7
Gesundheitsgefahr durch Legionellenkontamination des Trinkwassers
Behauptet der Mieter eine vom Vermieter bestrittene Gesund-
heitsgefahr durch eine zwischen den Parteien unstreitige Legio-
nellenkontamination des Trinkwassers, ist über die Frage, ob die
Kontamination für den Mieter eine Gesundheitsgefahr begründet,
(Sachverständigen-)Beweis zu erheben.
LG Berlin, Urteil vom 4.5.2017, 67 S 59/17
Bedeutung für die Praxis
Für eine verfahrensfehlerfreie Tatsachenfeststellung unzureichend war
und ist der vorgenommene Verweis auf die im streitgegenständlichen
Zusammenhang ergangene Instanzrechtsprechung und die dort erfolgte
rechtliche Bewertung unterschiedlicher Legionellenkonzentrationen.
Die Tatsachenfeststellung hätte allenfalls durch eine Verwertung der
in den in Bezug genommenen Verfahren erhobenen Beweise gemäß
§ 411a ZPO oder imWege des Urkundsbeweises erfolgen können. Beides
ist unterblieben. Keine andere Beurteilung rechtfertigt das herangezo-
gene Arbeitsblatt des „Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches“,
ausweislich dessen eine „direkte Gefahrenabwehr und Sanierung“ erst
ab einer - in der streitgegenständlichen Mietsache womöglich nicht
erreichten - Kontamination von über 10.000 KBE/100 ml geboten sein
soll. Auch würde der vom Amtsgericht genutzten Erkenntnisquelle ein
hinreichender Beweiswert nur dann zukommen, wenn die dort ausge-
wiesenen Grenzwerte nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen
ermittelt und festgelegt worden wären. Auch dazu fehlt jeglicher Anhalt.
Die selbständige Heranziehung des Arbeitsblattes durch das Gericht wäre
aber selbst bei hinreichendem Beweiswert unzulässig, da sie auf einer mit
dem Beibringungsgrundsatz und § 291 ZPO unvereinbaren richterlichen
Eigenrecherche beruhte. Eine solche ist allenfalls dann zulässig, wenn sie
dazu dient, sich über allgemeinkundige Tatsachen zu informieren. Dazu
gehören lediglich die Tatsachen, die in einem größeren oder kleineren
Bezirk einer beliebig großen Menge von Personen bekannt sind oder
wahrnehmbar waren und über die man sich aus zuverlässigen Quellen
ohne besondere Fachkunde unterrichten kann. Die von einem Verein
ermittelten und ausgewiesenen Grenzwerte für eine gesundheitsgefähr-
dende Legionellenkontamination fallen darunter nicht.
RA Heiko Ormanschick, Hamburg
HeizkostenV § 7 Abs. 1 S. 3
Überwiegend ungedämmte Leitungen:
Anwendbarkeit der VDI-Richtlinie 2077?
§ 7 Abs. 1 Satz 3 HeizkostenVO ist auf überwiegend ungedämmte,
aber nicht freiliegende Leitungen der Wärmeverteilung nicht analog
anwendbar.
BGH, Urteil vom 15.3.2017, VIII ZR 5/16
Bedeutung für die Praxis
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 HeizkostenV kann in Gebäuden, in denen die
freiliegenden Leitungen der Wärmeverteilung überwiegend ungedämmt
sind und deswegen ein wesentlicher Anteil des Wärmeverbrauchs nicht
erfasst wird, der Wärmeverbrauch der Nutzer nach anerkannten Regeln
der Technik bestimmt werden.
Solche Regeln enthält das Beiblatt „Verfahren zur Berücksichtigung
der Rohrwärmeabgabe“ der VDI-Richtlinie 2077, das auch auf nicht
freiliegende Leitungen Anwendung findet. „Freiliegend“ sind nach den
Verordnungsmaterialien auf der Wand verlaufende und damit sichtbare
Wärmeleitungen. Der Verordnungsgeber hat dem im Übrigen auch nicht
weiter erläuterungsbedürftigen Begriff „freiliegend“ keinen von der
üblichen Verwendung abweichenden Sinngehalt beigemessen. Daher
ist der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 Satz 3 HeizkostenV nach dem
unmissverständlichen Wortlaut der Bestimmung im vorliegenden Fall
nicht eröffnet.
Eine in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und im Schrifttum
vertretene Ansicht befürwortet allerdings eine analoge Anwendung,
wenn überwiegend ungedämmte Leitungen der Wärmeverteilung unter
Putz bzw. im Estrich verlegt sind. Nach anderer Ansicht ist dagegen eine
analoge Anwendung mangels planwidriger Regelungslücke nicht
sodass in seinem Bedürfnis auf erstmalige Information hinsichtlich des
Aussehens, der Ausstattung sowie der genauen Größe der Wohnung ein
berechtigtes Interesse zu sehen ist, das das Interesse des Mieters an feh-
lender Störung deutlich überwiegt. Das Informationsbedürfnis des Ver-
mieters hinsichtlich der genauen Maße der Wohnung wird vorliegend auch
nicht durch die mieterseits übersandte Architektenskizze befriedigt. In
der Skizze sind lediglich Quadratmeterangaben enthalten, jedoch weder
die Maße der Wände noch ein konkreter Maßstab. Für den Vermieter, der
beabsichtigt, selbst in die Wohnung einzuziehen, und diese daher ausmes-
sen möchte, ergeben sich aus der Architektenskizze daher nicht die benö-
tigten Informationen. Der streitgegenständliche Mietvertrag (MV) regelt
das Besichtigungsrecht des Vermieters nicht abschließend. Die Regelung
ist nicht dahingehend auszulegen, dass dem Vermieter ausschließlich in
den dort aufgezählten Fällen ein Besichtigungsrecht zusteht. Vielmehr ist
sie so zu verstehen, dass das Besichtigungsrecht des Vermieters jedenfalls
in den dort aufgezählten Fällen besteht. Selbst wenn man von einer ab-
schließenden Regelung des § 10 MV ausgehen würde, hätte der Vermieter
entsprechend § 10 Abs. 2 MV ein Besichtigungsrecht, da er dieses als
Kaufinteressent nicht vor Abschluss des Kaufvertrags, sondern nunmehr
erst hinterher geltend macht. Ein Zurückbehaltungsrecht des Mieters
gemäß § 273 BGB gegenüber dem Besichtigungsanspruch des Vermieters
besteht ebenfalls nicht, da das Zurückbehaltungsrecht im vorliegenden
Fall gem. § 242 BGB ohnehin aufgrund der Natur des Gläubigeranspruchs
ausgeschlossen ist. Gegenüber dem aus Art. 14 GG herrührenden Recht
auf Duldung der erstmaligen Besichtigung einer Wohnung durch den
neuen Eigentümer kann die fehlende Bezahlung von Geldansprüchen nicht
geltend gemacht werden. Es steht dem Mieter frei, gegenüber dem Miet-
zahlungsanspruch mit den vermeintlichen Ansprüchen aufzurechnen, so
dass er hinsichtlich der Wahrung seiner Rechte nicht schutzlos gestellt ist.
RA Heiko Ormanschick, Hamburg