DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 10/2016 - page 11

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Für einen solchen Prozess wünschteman sich Zeit.
Doch die Zeit ist knapp, die Situation erfordert
schnelle Lösungen. Die fantasielosen Provisiorien,
die überall entstanden sind und weiter entstehen
– Wohncontainer selbst in kleinen Orten im länd-
lichen Raum – sind keine Lösung, sollen es auch
nicht sein. Die Politik will keine weiteren Provisi-
orien, und seien sie noch so kreativ. Sie setzt auf
Wohnungsbaumit bezahlbarenMieten, mit kürze-
ren Planungs- und Bauzeiten, mehr Bauvolumen.
Mit dem § 246 im Baugesetzbuch „Sonderrege-
lungen für einzelne Länder; Sonderregelungen für
Flüchtlingsunterkünfte“ wurden die rechtlichen
Voraussetzungen hierfür geschaffen.
Neue Konzepte?
Das sei, so empfanden es z. B. die Architekten auf
dem von der Hamburgischen Architektenkammer
veranstalteten dreitägigenWorkshop „Ankunfts-
stadt Hamburg. Aber wie?“, zu kurz gesprungen.
Sie vermissten eine inhaltliche Konzeption, in
der die architektonische und soziale Gestaltung
der Häuser und Siedlungen zur Integration der
Flüchtlinge beiträgt. Von architektonischer
Qualität sei kaum noch die Rede, wo doch jetzt
eigentlich die Stunde der Architekten mit ihrem
kreativen Potenzial schlagenmüsste. Stattdessen
scheine die Quantität, die Anzahl der in kurzer
Zeit erstellten Gebäude, der alleinige Maßstab zu
sein. Gleichzeitig werde die Politik und die Woh-
nungswirtschaft nicht müde zu betonen, dass sie
die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen
wollten. Seelenlose Großsiedlungen, die gefähr-
det sind, zu Ghettos mit rechtsfreien Räumen
zu werden, will niemand bauen. Jahrzehntelang
haben Kommunen und Wohnungsunternehmen
damit zu tun gehabt, die seit den 1960er-Jahren
in Montagebauweise schnell hochgezogenen Tra-
bantensiedlungen zu sanieren und ihr soziales Ge-
füge ins Gleichgewicht zu bringen. Die Gelder, die
in der Bauzeit eingespart wurden, flossen später
um so reichlicher.
Eine Branche wie die Wohnungswirtschaft, die in
den vergangenen Jahren den Begriff Nachhaltig-
keit in den Fokus ihrer strategischen Planungen
gestellt und die Architektenwettbewerbe veran-
staltet hat, um die Qualität ihres Bestandes zu
heben oder zu sichern, solle jetzt nicht auf das
Fachwissen der Architekten verzichten. Der in
Hamburg geplante standardisierte „kostenop-
timierte Effizienzwohnungsbau“ sei nicht die
Lösung, betonte Karin Loosen, Präsidentin der
Hamburgischen Architektenkammer. „Die Erfah-
rungen mit den Flüchtlingsunterkünften mit der
PerspektiveWohnen zeigen, dass die Verwendung
vermeintlich bewährter Bautypologien und auch
ein reduzierter Planungsvorlauf unter Qualitäts-,
Akzeptanz- und Nachhaltigkeitsgesichtspunkten
durchaus problematischwerden können“, schrieb
sie den Mitgliedern der Hamburgischen Bürger-
schaft im Juni 2016 in einem offenen Brief.
Faktoren
Auch die Architekten sind sich des Kostendrucks
und der Zielsetzung, bezahlbaren Wohnraum zu
schaffen, bewusst. „Eine Überprüfung der kosten-
treibenden Faktoren imWohnungsbau wäre drin-
gend erforderlich“, mahnt Karin Loosen. Verant-
wortlich sei ein Bündel von Faktoren, nicht zuletzt
die langwierigen Bebauungsplanungsverfahren
mit ihren komplizierten Prozessabläufen und die
zu geringe Personaldecke in den zuständigen Äm-
tern. Sich einseitig auf eine Kostensenkung durch
„Typisierung und Standardisierung“ zu fokussie-
ren, sei falsch. Dabei kann auch sie sich Siedlungen
und Gebäude vorstellen, die aus typisierten Bau-
teilen zusammengestellt werden. Nur sollten
Visualisierung des Projekts „Unser
Haus – Modulbau“. Die Visualisierung
ist Teil einer Reihe von Vorschlägen,
wie sie die Workshop-Arbeitsgruppen
erarbeitet haben. Die gezeigte
Variante ist für eine dauerhafte
Nutzung („Bleiben“) gedacht
Quelle: Blauraum Architekten, Hamburg/Berlin
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