STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNG
12
10|2016
diese so konstruiert sein, dass sie unterschiedlich
kombinierbar seien, damit innovative und unter-
schiedliche Viertel entstehen könnten. Dabei geht
es ihr nicht nur umästhetische Erwägungen, son-
dern immer auch um konzeptionelle Ansätze mit
dem Ziel, die Integration zu fördern.
Unverzichtbar dafür sei Partizipation, betonte der
Stadtforscher Dr. Dieter Läpple. Er wünscht sich
mehr konstruktive Bürgerbeteiligung – sowohl der
Flüchtlinge als auch der Nachbarschaften. „Wir
müssen alles mobilisieren, um Flüchtlinge zu ak-
tivieren und zu Subjekten ihres Schicksals zu ma-
chen. Sie dürfen keine Objekte sein, die man ver-
sorgt, umdieman sich sorgt.“ Aber auch ohne die
Einbeziehung der Bürger könne Integration nicht
gelingen. „Städte sollten sich generell ein neues
Selbstverständnis geben, sich als ‚Arrival Cities’
begreifen und nicht als Kommunen, die ein aktu-
elles Problem zu schultern haben“, sagte deshalb
auch Joachim Schultz-Granberg von der Münster
School of Architecture. Solange das Motto „Not in
my backyard“ die Haltung vieler Anwohner prägt,
ist das Problem nicht zu lösen. GdW-Präsident
Axel Gedaschko hat es in den Satz gekleidet: „Wir
brauchen auch eine Willkommenskultur für Bag-
ger und Bauzaun. Sonst wird es nichts mit dem
bezahlbaren Neubau!“ Gleichzeitig zeichnen sich
die Grenzen für Neubau durch Innenverdichtung
ab. Jahrzehntelange Tabus wie das Bauen auf der
grünen Wiese sind keine mehr.
Wie sich das Themenfeld Unterkunft und Parti-
zipation bearbeiten lässt, zeigte der Workshop-
Beitrag der Arbeitsgruppe „Ankunft und Unter-
kunft“ unter Leitung des Architekten Carsten
Venus: „Unser Vorschlag ist an der ‚Wohnkarriere’
orientiert, die Flüchtlinge auf demWeg durch die
Institutionen der Wohnraumversorgung machen
müssen.“ Von der „Zentralen Erstaufnahme“ über
die „öffentlich-rechtliche Unterkunft“ zur regu-
lären Wohnung sei es ein langer Weg, der sich
sinnvoll mit Hinblick auf das Ziel der Integration
gestalten ließe. Die Architektenrunde schlägt eine
kleinteilige Ansiedlung von Wohneinheiten vor,
die die Integration der Ankommenden erleichtert
und eine funktionierende Nachbarschaft ermög-
licht. Ein differenziertes Teilhabeverfahren, an
dem Flüchtlinge und Anwohner beteiligt sind,
soll dazu beitragen, Konflikte zu vermeiden oder
zu bewältigen. Die kleinteiligen Gebäude sollen
schnell und günstig in modularer, flexibler Bau-
weise erstellt werden. Alle Beteiligten sollen sich
ihren Ort aneignen können. Wichtig sei, dass der
Standort und die Einrichtungen eine „mobile
Urbanität“ ermöglichten. Nach drei Jahren soll
dann eine „partizipative Evaluation der Wohnan-
lagen oder Wohnimplantate“ durch die Bewohner
und die Anwohner erfolgen. Sie entscheidet über
deren Zukunft. Entweder werden aus den Provi-
sorien feste, architektonisch gut integrierte und
preisgünstige Wohnungsbauten oder sie werden
einfachwieder zurückgebaut und an anderer Stelle
mit derselben Aufgabe neu errichtet.
Neue (Funktions-)Mischung
Doch ist es damit getan, mit bezahlbarem Wohn-
raum zu schaffen? Die Wohnungsfrage sei nur ein
erster Schritt, betont Dieter Läpple. Man müsse
bei der Planung die nächsten Schritte bereits
mitdenken. „Dringlichkeit darf nicht zu kurzat-
migen Lösungen führen.“ Architektonische Ideen
und Entwürfe können dazu beitragen, Flüchtlinge
zu „Subjekten ihres Schicksals“ zu machen. „Mi-
gration works when migrants work“, zitiert er
den Migrationsforscher Randall Hansen von der
Quelle: Architektenkammer Hamburg
University of Toronto und fordert eine neue Form
der Funktionsmischung in urbanen Quartieren.
Die alte Trennung vonWohnen und Arbeiten habe
sich überlebt.
Wie so etwas funktionieren kann, zeigt das IBA-
Projekt Weltquartier in Hamburg-Wilhelmsburg.
Bei der Neugestaltung einer in den 1930er-Jahren
gebauten Miethaus-Siedlung mit überwiegend
migrantischer Bevölkerung stellte man fest, dass
viele Garagen als Lagerräume für kleine Händler
zweckentfremdet wordenwaren. Doch anstatt mit
der bürokratischen Verbotskeule zu reagieren,
habe man dem offensichtlichen Bedürfnis nach
kleinteiligem Gewerberaum Rechnung getragen
und diesen in modularer Bauweise neben der
Siedlung erstellt, erklärt Mario Mack, Geschäfts-
stellenleiter von SAGA GWG in Wilhelmsburg.