wirtschaft und weiterbildung 4/2017 - page 23

wirtschaft + weiterbildung
04_2017
23
Nutzen eingesetzt wird. Es ist offenbar
möglich, mit negativer Aufmerksamkeit
großen Erfolg zu haben, nicht nur mit po-
sitiver, wie die Idealisten bisher zu naiv
glaubten.
Wie verändert sich unsere Wahrneh-
mungsfähigkeit, wenn wir – wie die Kugel
im Flipperkasten – unablässig von einer
Webseite zur nächsten geschossen
werden?
Dueck:
Na, wir werden künstlich hyper-
aktiv gemacht. Hyperaktive Menschen
lassen sich ständig ablenken und können
sich nicht gut konzentrieren. Tja, wenn
wir nicht aufpassen, packt uns das alle.
Flachsinn erzeuge Flachsinnige, schrei-
ben Sie. Aber das Internet hat auch dafür
gesorgt, dass wir als Verbraucher so
wissend und mündig sind wie nie zuvor.
Oder machen wir uns da etwas vor?
Dueck:
Wer mündig sein will, kann das ja
sein. Das Internet gibt jedem die Chance
zum „Self-Empowerment“. Man findet
alles in großer Reichhaltigkeit und kann
unglaublich viel lernen und profitieren.
Man kann – wenn man sich nicht vom
Flachsinn ablenken lässt. Künstlich Hy-
peraktive können das eben nicht mehr so
richtig.
Was bewirkt die von Ihnen beschrie-
bene „Aufmerksamkeitsökonomie“ am
Arbeitsplatz? Muss nun eigentlich
weniger oder mehr gearbeitet werden?
Dueck:
Früher bekam man die Instruk-
tionen vom Chef, heute bekommt man
sie von Marketing, Vertrieb, von allen
möglichen Officers. Wir werden per Mail
zugemüllt und müssen eben lernen, nur
das Relevante zu filtern. Gleichzeitig wer-
den die immer knapperen Beförderun-
gen eben wegen dieser Knappheit (oder
wegen des Geizes) im Streit der Abtei-
lungen immer weiter oben in der Hie­
rarchie entschieden, sodass nur solche
Mitarbeiter Erfolg haben, die auch oben
die Aufmerksamkeit haben, die also oben
bekannt sind – neudeutsch heißt das
„visible“. Daher muss jetzt jeder ständig
seine eigenen Erfolge beweisen und hi-
nausposaunen, dass er besser ist als die
anderen. Tja, aber die Chefs wollen doch,
dass wir ein Team sind und uns gegensei-
tig helfen?
Wie kann sich der einzelne Nutzer dem
Internet-Rummel eigentlich noch
entziehen?
Dueck:
Man sollte die Mechanismen ken-
nen, die ich im Buch beschreibe, und ver-
nünftig damit umgehen. Entziehen geht
ja nicht, denn das ist jetzt unsere Welt.
Sie können sonst nur „entsagen“ und al-
lein bleiben.
... und wer sollte noch wie einschreiten?
Dueck:
Wir brauchen wohl neue Orientie-
rungspunkte. Was finden wir gemeinsam
wichtig? Ich schlage vor, die öffentlichen
Rundfunkanstalten und/oder Universi-
täten erst einmal damit zu beauftragen,
unsere ganzen Kulturgüter im Netz ab-
zubilden, mit denen dann jeder frei und
ohne Kosten arbeiten kann. Wir suchen
ja jeden Tag für Argumente oder Präsen-
tationen nach Bildern, Materialien und
Argumenten. Ist das, was wir finden, ur-
heberrechtlich geschützt, wahr, gut, au-
thentisch? Wie wäre es, wir hätten das
Wichtige einfach „da“, frei zugängig?
Ich will nicht sagen, dass das die einzige
Möglichkeit ist, auf die Kultur einzuwir-
ken. Aber alles, was „Umdenken“ erfor-
dert, funktioniert meistens nicht. „Kultur
ins Netz“ kostet nur Geld und das haben
wir ja.
Stellen Sie sich vor, dem Internet wird
morgen der Stecker gezogen, komplett
und weltweit. Wie einschneidend wäre
das für unser Leben?
Dueck:
Na, wir werden Urerfahrungen
machen, so als ob der Strom ein paar
Tage weg ist, also wenn wir schnell alles
aufessen müssen, was in der Kühltruhe
vergammelt. Wir können dann nicht wa-
schen oder kochen, wahrscheinlich nicht
einmal etwas einkaufen, weil nichts ohne
Strom geht. Mit dem Internet ist das dann
in ein paar Jahren auch so einschneidend.
Hand aufs Herz: Als Blogger, Buchau-
tor und Vortragsredner sind Sie selbst
Teil der „Aufmerksamkeitsökonomie“.
Beschleicht Sie da nicht manchmal ein
schlechtes Gewissen?
Dueck:
In meinem Buch beschreibe
ich, dass alles eine „weiße“ und eine
„schwarze“ Seite hat. Ich kann im Inter-
net oder in Büchern gute Inhalte liefern
und ich kann andere im Netz manipulativ
übervorteilen und an Werbung verdie-
nen. Ich bleibe eben „weiß“, was bei mir
gut geht, weil ich ja „Rentner mit abge-
schlossener Vermögensbildung“ bin und
einfach ohne jedes Problem unabhän-
gig sein kann. Ich war aber auch früher
schon so, auch unter Druck und Kritik,
daher trage ich ja überall den Spitzna-
men „Wild Duck“, was in Amerika den
etwas störenden Querdenker bezeichnet.
Ich möchte diese Antwort eigentlich nicht
gegeben haben. Sie zwingen mich, etwas
Gutes über mich zu sagen ...
Haben Sie schon einmal einen
Shit-Storm erlebt und wie haben Sie sich
gewehrt?
Dueck:
Ab und zu werden Beiträge von
mir als absoluter Quatsch abgetan. Das
finde ich „normal“. Das ist eben so. Nach
der Regel: Je bekannter mein Publikati-
onsmedium, umso mehr Spritzflecken.
Gegen ärgerliche Rezensionen kann ich
mich ja nicht wehren, zum Beispiel nicht
gegen eine Niedrigbewertung bei Amazon
wie diese, wörtlich zitiert: „Bestimmt ein
gutes Buch. Der Beschenkte hat es jedoch
zu Weihnachten mehrfach bekommen.
Wir haben es daher leider zurücksenden
müssen.“ Und zack, hat das Buch bei
Amazon nur noch vier Sterne im Schnitt.
Einmal kommentierte jemand: „Du bist
im Herbst bestimmt zum Abschuss frei-
gegeben.“ Ich antwortete: „Du schießt
bestimmt gern Böcke.“ Da hat dieser Je-
mand leider seinen Kommentar gelöscht.
Bei einzelnen Beleidigungen frage ich lie-
ber erst einmal, worum es geht und ob
der Betreffende seine Gefühle erklären
kann. Meist antworten sie dann gemä-
ßigter, erklären wirklich, was sie meinen,
und wir schließen Frieden – wir müssen
uns ja nicht in der Sache einigen, können
aber doch den Respekt wahren.
Interview: Christoph Stehr
„Einmal kommentierte mich jemand mit: Du bist im
Herbst zum Abschuss freigegeben.“
Gunter Dueck
1...,13,14,15,16,17,18,19,20,21,22 24,25,26,27,28,29,30,31,32,33,...68
Powered by FlippingBook