WOHNUNGSPOLITISCHE INFORMATIONEN 11/2015 - page 5

AUS DEN VERBÄNDEN
Thüringer Wohnungswirtschaft trifft sich zur Flüchtlingsunterbringung und
formuliert Forderungen an die Politik
Erfurt – „Die Unterbringung von Flüchtlingen – Herausforderungen und Chancen für die Thüringer Wohnungswirtschaft“,
unter diesem Motto hat sich der Verband Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (vtw.) Anfang März 2015 zu
einem Workshop mit Unternehmen, Kommunalpolitikern und einem Vertreter des Landesverwaltungsamtes getroffen.
„In den vergangenen zwei Jahren stieg die
Zahl der Erstanträge auf Asyl in Thürin-
gen von 1.764 auf 6.135. In diesem Jahr
werden rund 9.000 Erstanträge erwartet.
Wenn es nach den Vereinbarungen im Koa-
litionsvertrag der Landesregierung geht,
soll die Mehrheit dezentral in Wohnungen
untergebracht werden. Die meisten kom-
munalen Wohnungsgesellschaften unserer
174 Wohnungsunternehmen haben schon
jetzt über 3.000 Flüchtlinge untergebracht
– Tendenz steigend. Auch einige Woh-
nungsgenossenschaften haben sich schon
eingebracht beziehungsweise es finden
gegenwärtig Gespräche mit ihnen statt.
Allein daran ist zu erkennen, wie stark uns
das Thema Unterbringung von Flüchtlingen
auch künftig beschäftigen wird“, bekräf-
tigte Constanze Victor, Direktorin des Ver-
bandes Thüringer Wohnungs- und Immo-
bilienwirtschaft.
Offene Fragen und Probleme
Die Wohnungswirtschaft in Thüringen sieht
es als ihre humane Verpflichtung an, sich
bei der Unterbringung von Asylbewerbern
und Flüchtlingen einzubringen. Wohnungs-
unternehmen sind jedoch Wirtschaftsun-
ternehmen, so dass für die Unternehmen
eine Kostendeckung erforderlich ist. Die
Thüringer Wohnungsunternehmen bemän-
geln vor allem die unzureichende Betreu-
ung durch Sozialarbeiter und weisen auf
die Sprachbarrieren hin. Hausordnung,
Müll, Heizungs- und Sanitärbenutzung sind
für viele Flüchtlinge ungewohnte Themen.
Auch die Frage nach einem gelockerten
Arbeitsverbot und der Einbeziehung des
Jobcenters spielen bei einer integrativen
Unterbringung eine große Rolle.
„In vielen Fällen erfahren die Unternehmen
erst sehr kurzfristig, wie viele Asylbewer-
ber beziehungsweise Flüchtlinge sie unter-
bringen sollen und haben kaum Einfluss
auf den Grad der Konzentration in einzel-
nen Wohngebieten. Auch die Frage der
Gebäudeversicherung ist nicht umfassend
geklärt“, bemängelte Constanze Victor.
Zudem seien die Wohnungsunternehmen
einer Vielzahl von Risiken ausgesetzt.
Überbelegungen schädigten die Substanz
von Wohnraum und erhöhten das Kon-
fliktpotenzial unter den Bewohnern und zu
Nachbarn. Ein hoher Instandhaltungsbedarf
durch wechselnde Mieter verursache hohe
Kosten. Durch den ungewohnten Umgang
mit Wasser und Heizung verursachten die
Bewohner häufig hohe Betriebskosten.
Thüringer Wohnungswirtschaft
schafft Willkommenskultur
Gleichwohl engagiert sich eine Vielzahl
der Thüringer Wohnungsgesellschaf-
ten und -genossenschaften aktiv bei der
Unterbringung von Flüchtlingen. Um das
gestiegene Aufkommen zu bewältigen,
könnten sie neben den bereits vorhande-
nen 3.000 weitere rund 1.000 Wohnungen
bereitstellen. Viele dieser Wohnungen, die
sofort bezogen werden könnten, befinden
sich jedoch an „entlegenen“ Standorten
in Thüringen. Andere Kommunen stehen
dagegen vor erheblichen Problemen, weil
dort kaum noch Wohnungen zur Verfü-
gung stehen. Die Thüringer Flüchtlings-
verteilungsverordnung muss aus Sicht des
vtw. insoweit dringend flexibler ausgestal-
tet werden. Die Wohnungsunternehmen
stellen aber nicht nur Wohnungen zur
Verfügung, sie schaffen schon jetzt eine
Willkommenskultur durch bestimmte Ser-
vice-Angebote, ermöglichen Zusammen-
künfte und gemeinsame Veranstaltungen.
„Mitmachen vor Ort ist möglich. Es gibt
viele positive Beispiele, die aus dem priva-
tem Engagement vor Ort resultieren“, so
Constanze Victor. Allerdings, so betonte sie
weiter, könne nicht die gesamte Last bei
den Unternehmen liegen. Um die Unter-
bringung auf wirtschaftlich stabile und
konfliktfreie Füße zu stellen, hat der vtw.
eine Reihe von Forderungen erarbeitet.
(tei/schi)
Die Einzelforderungen des vtw. für eine
konfliktfreie Unterbringung von Flüchtlingen in
Thüringen finden Sie unter
Flüchtlingswohnraum: Chancen für das Saarland mittelfristig nutzen
Saarbrücken – Als beispielgebend hat der Verband der saarländischen Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (VdW saar)
am 3. März 2015 bei einem Besuch im Innenministerium in Saarbrücken das landeseigene Sonderprogramm zur Unter-
bringung von Asylbewerbern bewertet. Das Land habe sich – trotz der Haushaltsprobleme – für dieses Programm ent-
schieden, während viele Bundesländer noch abwartend nach weiteren Hilfen des Bundes rufen. „Wir sehen hier nicht
zuletzt eine Chance für das Saarland, da die Asylbewerber zu nicht unerheblichen Teilen ein hohes Ausbildungsniveau
mitbringen“, betonte Volker Leers, Präsident des Verbandes.
„Wir dürfen allerdings nicht bei der Besei-
tigung der Probleme der Erstunterbringung
stehen bleiben“, so
Volker Leers
. Die Her-
ausforderung bestünde in einer dauerhaf-
ten, erfolgreichen Integration bei den aner-
kannten Asylanten. Richtig sei deshalb auch,
dass das Saarland mit seinem Programm auf
die Unterbringung in vorhandenen Gebäu-
den setze. „Wohncontainer sollten vermie-
den werden, die erzeugen nur Probleme auf-
grund des Lagercharakters“, so Leers weiter.
Deshalb würden Wohnungsunternehmen
auf eine dezentrale Unterbringung setzen.
Christian Patzwahl
von der Immobili-
engruppe Saarbrücken, Vizepräsident des
Verbandes, betonte, dass in seinem Unter-
nehmen bereits im letzten Jahr rund 500
Asylanten Wohnraum gefunden hätten.
Mit dem Programm könnten nun weitere
Wohnungen für 700 bis 800 Asylanten
hergerichtet werden. Er hoffe, dass damit
zumindest bis Ende des nächsten Jahres
eine Entspannung bei der Erstunterbrin-
gung erreichbar ist. Eine Verdrängung
oder ein Wettbewerb mit sozial schwachen
Wohnungssuchenden sei nicht gegeben.
Allerdings sei nicht auszuschließen, dass
der Flüchtlingsstrom weiter anhalte.
„Damit wir vor allem rasch helfen können,
ist erforderlich, dass auch bei den Bau-
standards Erleichterungen erfolgen. Wir
könnten insgesamt mehr bauen, wenn
wir nicht so häufig im Genehmigungsge-
strüpp hängen blieben“, so Patzwahl. Er
spricht sich deshalb für mehr Kooperation
bei der Baugenehmigung aus. Zur Vermei-
dung von Konkurrenz mit den Adressa-
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