DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 5/2016 - page 26

NEUBAU UND SANIERUNG
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sich Braun und Tondt doch sicher, dass ihr Gebäu-
deriegel erkennbar zur Aufwertung der Siedlung
beitrage. Eines sei allerding auch klar. „Mümmel-
mannsberg war für uns ein einmaliger Kraftakt.
Wir müssen mit unserem Geld auskommen und
können allenfalls alle zwei, drei Jahre in einem
anderen Stadtteil etwas Besonderes machen.“ Für
ihr Engagement in Mümmelmannsberg wurden
der Architekt und der Bauherr mit dem Zweiten
Preis beim Wettbewerb „BDA, Bauen im Bestand
2015“ ausgezeichnet, mit demzukunftsweisende,
energieeffiziente Lösungen bei Modernisierungen
und architektonisch vorbildliche Erneuerungen
des Gebäudebestandes gewürdigt werden.
Jede Großsiedlung hat ihre Geschichte und ihre
eigene regionale Struktur – auch wenn sie sich
wie ein Ei dem anderen zu gleichen scheinen.
Ihnen gemeinsam ist, dass sie in ihrer rationa-
len Montagebauweise die schnelle und kosten-
günstige Antwort auf eine Notsituation auf dem
Wohnungsmarkt waren. Seit Mitte der 1960er
Jahre schossen sie in beiden deutschen Staaten
wie Pilze aus dem Boden. Doch mit wesentlichen
Unterschieden, wie der Frankfurter Architekt
Stefan Forster betont. Er hat im Rahmen der
„Internationalen Bauausstellung Stadtumbau
Sachsen-Anhalt 2010“ für die GWG Gesellschaft
für Wohn- und Gewerbeimmobilien Halle-Neu-
stadt mbH einen 120 m langen Plattenbau in Halle
modernisiert. „Ich bin kein Freund des Platten-
baus in der DDR“, betont Forster. „Die Siedlungen
mit ihrer Monostruktur und ihrer gleichförmigen
Architektur waren Ausdruck einer Mangelwirt-
schaft. Weder spielte der Faktor ‚Genießen’ eine
Rolle, noch waren Abgrenzungen erlaubt. Öffent-
licher, halböffentlicher und privater Raum – alles
hatte die gleiche Wertigkeit.“ Seinen Umbau in
Halle will der Architekt deshalb auch als Kritik an
der sozialistischen Denkweise verstanden wissen,
nach der alle Räume allen gehörten.
Forster entschied sich in Halle-Neustadt für ei-
nen radikalen Eingriff, der demGebäude und dem
ihn umgebende Raum eine neue Struktur und ein
neues Gesicht gab. „Wir haben die Privatisierung
des Außenraumes vorgenommen und ihn demErd-
geschoss zugeschlagen. Dadurch haben wir das
eigentliche System von der Großsiedlung Halle
mit seinen in Windmühlenfiguren angeordneten
Gebäuden komplett verletzt.“ Das geschah nicht
ohne Widerspruch. Die sozialistische Siedlung
müsse als Denkmal bewahrt bleiben, Vorgärten
hätten hier keinen Platz. „Viele Menschen iden-
tifizierten sich mit der Platte. Für sie war sie ein
Stück Ostidentität, das sie bewahren wollten.“
Grenzen ausloten
Auch Forsters Umgangmit demGebäude, aus dem
er in der oberen Etage ganze Stücke herausschnitt,
war Plattenbau-Puristen ein Dorn im Auge. „Wir
haben die Grenzen ausgelotet, was man mit ei-
nem Plattenbau alles machen kann, und dabei
festgestellt, dass die Konstruktion mehr hergibt,
als viele denken“, so Forster. Im Grunde gehe
es immer um die gleichen Themen: vernünftige
Wohnsituationen, mehr Licht und verschiedene
Wohnungsgrößen, größere Balkone. „Durch das
Herausschneiden von Elementen haben wir neue
Wohnungstypen wie Terrassenwohnungen und
Penthäuser generiert“, erklärt Forster. „Die Typo-
logie der verschiedenenWohnungen zeichnet sich
auch in der Ansicht ab, man braucht sie nicht auch
noch durch farbliche Akzentuierungen hervorzu-
heben, sondern soll ruhig die Strenge des Hauses
beibehalten, aber mit einer Differenzierung von
unten nach oben.“ Forster versteht seinen Um-
bau als ein Angebot, einen Hinweis, wie man es
machen könnte. „Viele Architekten in den neuen
Bundesländern sahen uns als Eisbrecher, wie mir
ein Kollege sagte. Der Forster macht es doch auch,
warum lässt man uns nicht?“
Grenzen ausloten, sehen, was machbar ist, be-
stimmt auch die Herangehensweise im Westen
– wobei häufig die technischen Möglichkeiten
im Vordergrund stehen und die architektonische
Neubestimmung gewissermaßen Beiwerk ist. An
die Grenzen der technischen Möglichkeiten ging
das städtischeWohnungsunternehmen Freiburger
Stadtbau GmbH, das weltweit Schlagzeilen in der
Fachpresse machte, als es ein Ende der 1960er
Jahre gebautes 16-geschossiges Hochhaus in ein
Passivhaus umbaute (siehe DW 8/2013, S. 20).
Die erneuerten fest eingebauten Blumenkästen an den Balkonen
wurden sofort von den Bewohnern bepflanzt
Während einige Balkone vorher durch schlichte Geländer geprägt waren,
gibt die neue Einfassung dem Bau eine elegante Anmutung
Quelle: Fluwog Nordmark
Quelle: Fluwog-Nordmark
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