DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 5/2016 - page 25

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nicht machen, sondern ein deutliches architekto-
nisches Hightlight setzen. Wir lobten deshalb einen
Architektenwettbewerb aus, an dem fünf Büros
teilnahmen.“ Eine Vorgabe war, alle Maßnahmen
im Rahmen der öffentlichen Förderrichtlinien zu
planen. Außerdem musste die Modernisierung im
bewohnten Zustand stattfinden.
Carsten Roth gewann den Wettbewerb, und die
Baugenossenschaft ist vom Ergebnis begeistert.
„Die Bewohner sind stolz auf ihr neues Haus. Sie
erkennen an, dass hochwertige Materialien ver-
baut wurden“, sagt Joachim Braun. „Es gibt kei-
ne Graffiti, keine Beschädigungen, auch nicht im
Tordurchgang, der vor der Sanierung eine dunkle
Röhre, ein Angstraumwar, durch die man ungern
ging.“ Sichtbares Zeichen des neuenWohngefühls:
Die neuen fest eingebauten Blumenkästen an den
neuen Balkonelementen wurden sofort von den
Bewohnern bepflanzt – und das im Spätsommer.
Charakter erhalten
Carsten Roth hatte sich an zwei Leitlinien orien-
tiert. Der Charakter des Plattenbaus sollte erhal-
ten bleiben, aber so bearbeitet werden, dass er
Eleganz ausstrahlt. „Eleganz ist schwer zu de-
finieren, aber jedermann spürt sie, wenn er ihr
begegnet“, sagt Carsten Roth. Der zu sanierende
Gebäuderiegel bestand aus drei Teilen, die sich
in der Fassadengestaltung unterschieden. Diese
Unterschiede wurden beibehalten, wenn auch
mit neuen Elementen. Nur in einem Fall blieb
die alte Balkonbrüstung erhalten. Während die
Brüstungen an zwei Gebäuden mit neuen blau-
en Metallelementen versehen wurden, wurden
ausgerechnet die Waschbetonelemente nicht
ausgetauscht, sondern lediglich gründlich gerei-
nigt. „Waschbeton halten viele für ausgesprochen
gruselig“, weiß auch Roth. „Ich finde ihn aber ganz
toll. Wir haben lediglich die Elemente in den ein-
geschnittenen Öffnungen der Brüstungen durch
gewelltes Alublech ersetzt.“ Alles sei jetzt licht
und freundlich, wozu auch die Champagnertöne
an anderen Gebäudeteilen beitragen.
Licht und Luft waren entscheidende Themen für
diese Sanierung. So wurden die eigentlichen Fas-
sadenelemente hinter den Balkonen durch neue
mit bodentiefen Fenstern ersetzt. „Eine logisti-
sche Herausforderung“, erinnert sich Fluwog-
Nordmark-Vorstandsmitglied Jörg Tondt. „Die
Heizkörper hingen an den alten Fensterelemen-
ten und mussten zunächst entfernt werden. Erst
dann konnte das Fassadenelement durch ein neues
ersetzt werden.“ Zunächst wurde das Verfahren,
bei demkeine Kräne, sondern Aufzüge zumEinsatz
kamen, an einer leerstehendenWohnung auspro-
biert. „Am ersten Tag haben die Handwerker bis
abends um 21.30 Uhr gearbeitet“, erinnert sich
Tondt. „Erst am zweiten Tag, abends um 19 Uhr,
waren sie fertig.“ Doch schon bald konnten sie pro
Tag zwei Elemente austauschen. Die gute Stube
der Bewohner wurde so lange durch eine Staub-
wand geschützt. In zehn Wochen hatten die 108
Wohnungen neue Balkone und Fassadenelemente.
Außenräume
Zum Gebäude gehört auch der Außenraum. Er
wurde ebenfalls neu gefasst und strukturiert.
Auchwenn der Bauherr auf die Gestaltung der be-
nachbarten Gebäude keinen Einfluss hat, sind
Wie ist Ihr Verhältnis zum Plattenbau?
In Hamburg geboren, bin ich mit dem Unterbe-
wusstsein aufgewachsen, dass die Plattenbau-
Großsiedlungen in Steilshoop, am Osdorfer Born
und anderswo problematische, fremde Welten
sind. Eigentlich wusste man wenig über sie. Als
ich dann 2015 nachMümmelmannsberg kam, war
ich angenehm überrascht. Ich habe mich richtig
etwas in die Konstruktion dieser Gebäude mit ih-
ren riesigen Fertigbauteilen verliebt. Besonders
begeistern mich die breiten Balkone. Ich bin ein
ausgesprochener Balkon-Freak.
Wie sollte man mit einem zu modernisieren-
den Plattenbau umgehen?
Man sollte mit Respekt zur Fertigteilkonstruktion
vorgehen, ihren Charakter erhalten und ins Positive
steigern. Für uns war klar, dass wir den Plattenbau
auf keinen Fall ungeschehen machen wollten und
man ihn nicht durch eine Modernisierung konter-
karieren darf. Man sollte ihn so bearbeiten, dass er
möglichst gut zur Geltung kommt.
Was bedeutet das konkret?
Unsere Maßnahmen in Mümmelmannsberg wa-
ren eine Art Implantat, wir haben Elemente in
die Konstruktion integriert, sie damit aber nicht
umgearbeitet. Wir haben mit neuen Materiali-
en gearbeitet, in erster Linie Metall, und neue
farbliche Akzente gesetzt, und so eine gewisse
Eleganz in die Gebäude gebracht. Die Häuser in
Mümmelmannsberg sind jetzt „vornehmer“ – und
das kommt auch der Nachbarschaft zugute.
Prof. Roth, vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Dr. Holmer Stahncke
Interview mit Prof. Carsten Roth
„Den Plattenbau nicht durch eine
Modernisierung konterkarieren“
Der Hamburger Architekt und Universitätsprofessor am Institut
für Industriebau und Konstruktives Entwerfen der TU Braunschweig
erklärt, warum es seiner Meinung nach sinnvoll ist, Gebäude und
Siedlungen in Plattenbauweise behutsam erhaltend und nicht
überformend zu sanieren.
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