DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 6/2015 - page 25

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Betrieb gewesen und hatte auch prominente Häft-
linge beherbergt, so etwa im Ersten Weltkrieg den
Sozialistenführer Karl Liebknecht.
Heute, zehn Jahre nach Schließung des Gefängnis-
ses, staunt der Besucher, was aus demnur wenige
Schritte vomMarktplatz entfernten Komplex ge-
worden ist. Imehemaligen Hafthaus befinden sich
jetzt das Kreisarchiv und ein Cartoon-Museum, im
einstigen Wirtschaftsgebäude ist eine Kinderta-
gesstätte untergebracht, und die frühere Kirche
– sie gehörte zu dem 1291 gegründeten Domi-
nikanerkloster – hat sich unter der Bezeichnung
Kulturkirche zu einem Veranstaltungszentrum
gemausert. Entlang der Karl-Liebknecht-Straße
schließlich, in einem einst hauptsächlich von der
Gefängnisverwaltung genutzten Trakt, wird ge-
wohnt: Zehn Wohnungen im ersten Bauabschnitt
sind seit Sommer 2013 bewohnt, während für die
13 Einheiten im zweiten Bauabschnitt im Januar
dieses Jahres Richtfest gefeiert wurde.
„Ein harter Brocken“
Dabei war Bärbel Kohlstock, die Geschäftsführerin
der Wohnungsbau- und Verwaltungsgesellschaft
mbHLuckau (Wobau), nicht sonderlich begeistert,
als ihr Bürgermeister mit demVorschlag an sie he-
rantrat, die kommunaleWohnungsbaugesellschaft
möge doch mal eben im Baudenkmal Wohnungen
schaffen.„DaswarfürunsschoneinharterBrocken“,
sagt die Geschäftsführerin. Insgesamt 4,65 Mio. €
(2 Mio. € für den ersten und 2,65 Mio. € für den
zweiten Bauabschnitt) beträgt das Investitions-
volumen – viel für ein Unternehmen, das lediglich
rund 1.000 Wohnungen im Bestand hat.
Den Ausschlag, das Wagnis einzugehen, gab die
Zusicherung, Zuschüsse aus Städtebaufördermit-
teln zu erhalten. „Ohne diese Zuschüsse wäre es
nicht gegangen“, betont Kohlstock. Tatsächlich
wäre das Vorhaben sonst nicht wirtschaftlich ge-
wesen: Baukosten von 2.308 €/m
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Wohnfläche
im ersten Bauabschnitt steht eine Anfangsmiete
von 4,50 €/m
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gegenüber. Noch ausgeprägter ist
das Missverhältnis beim zweiten Bauabschnitt:
Hier betragen bei einer Miete von rund 5 €/m
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Quelle: A. Siemon, Marketing & PR
2,65 Mio. € betragen die Baukosten für die 13 Wohneinheiten, die im zweiten Bauabschnitt
des ehemaligen Gefängnisses von Luckau entstehen
Quelle: A. Siemon, Marketing & PR
die Kosten 3.200 €/m
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Wohnfläche. Durch den
Zuschuss von insgesamt knapp 2,2 Mio. € aber
stellt sich die Kalkulation sehr viel freundlicher
dar. Zudem stellt die Investitionsbank des Landes
Brandenburg (ILB) 1,56 Mio. € an zinsgünstigen
Darlehen zur Verfügung. 700.000 € bringt die
Wobau an Eigenkapital auf.
Kompromisse mit dem Denkmalschutz
Dass die Kosten für den zweiten Bauabschnitt so
viel höher sind als für den ersten, hängt mit den
unterschiedlichen baulichen Voraussetzungen
zusammen. Der erste Bauabschnitt umfasste ein
Verwaltungsgebäude aus dem frühen 20. Jahr-
hundert. Dieses konnte weitgehend entkernt wer-
den, so dass sich die Wohnungsgrundrisse nach
heutigen Anforderungen gestalten ließen. Anders
hingegen imzweiten Bauabschnitt, der wesentlich
älter ist und im Erdgeschoss auch Zellen beher-
bergte: Hier müssen die Planer die Wohnungen
der vorgefundenen Substanz anpassen. Im Erd-
geschoss bleiben so zum Beispiel die markanten
Gewölbedecken erhalten.
Ein Blick in den bereits fertig gestellten ersten
Bauabschnitt zeigt, dass es den Planern von der
Bauplanung Bautzen GmbH gelungen ist, mo-
dernen Wohnkomfort zu schaffen. Das erste und
zweite Obergeschoss sind über einen Aufzug barri-
erefrei zugänglich, während imErdgeschoss sechs
Garagen untergebracht sind. AlleWohnungen ver-
fügen über einen großzügigen Balkon oder eine
Terrasse zum weitläufigen, fast parkähnlichen
Hof. Historischmutet amehesten die Straßenseite
an: Dort ist die Fassade ganz in Backstein gehalten,
und die kleinen Fenster machen deutlich, dass das
Gebäude nicht immer Wohnzwecken diente.
Einer Vergrößerung der straßenseitigen Fenster
erteilten die Denkmalschützer eine Absage. Ge-
gen das Anbringen der Balkone hatten sie jedoch
nichts. Auch sonst habe man stets einen Kompro-
miss gefunden, sagt Bärbel Kohlstock. So hätten
die Denkmalschützer gern die alten Dielen imFlur
erhalten; schließlich einigteman sich darauf, neue
Dielen einzubauen und die alten einzulagern. Als
aufwändig erwies sich auch der Umgang mit den
Dächern: Im ersten Bauabschnitt wurde das Dach
in doppelter Biberschwanzdeckung erneuert, wäh-
rend im zweiten Bauabschnitt sogar die gesamte
Dachkonstruktion neu errichtet werden musste.
Anders als im ersten Bauabschnitt entstehen im
zweiten auch im Erdgeschoss Wohnungen, wobei
die drei Einheiten einen individuellen, direkten
Zugang vom Hof her erhalten.
Und wie schätzt Bärbel Kohlstock im Rückblick
das Abenteuer der Revitalisierung ein? „Es ist
eine Herausforderung“, antwortet sie. „Aber als
Bauingenieur freut man sich, das mitgestalten
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