CONTROLLER Magazin 4/2015 - page 57

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Anschließend werden Ziele, Phasen und Auf-
gaben des Tourneegeschäfts erläutert, da
sich das Controlling später an diesen orien-
tiert und ausrichtet. Basierend hierauf wird ein
Modell für ein zielführendes Projektcontrolling
vorgestellt.
Der Musical-Markt
und seine Player
Wenn in der betriebswirtschaftlichen Literatur
über Musikveranstaltungen berichtet wird, geht
es entweder um die Künstler, Bands und Musi-
cals oder um das Publikum bzw. die Determi-
nanten des Nachfrageverhaltens. Das wesent-
liche Bindeglied zwischen Künstler und Publi-
kum, der Veranstalter von Konzerten und
Shows, findet hingegen kaum Berücksichti-
gung. Vor dem Hintergrund der zunehmenden
wirtschaftlichen Bedeutung von Konzertveran-
staltungen innerhalb der Wertschöpfungskette
der populären Musik, soll der Fokus des vorlie-
genden Beitrags auf den Tourneeveranstalter
bzw. Tour Promotor von Musicalproduktionen
liegen.
Eine Tournee, auch Tour genannt, bezeichnet
eine Reihe von Einzelkonzerten/-veranstaltung
einer oder mehrerer Musicals an verschiede-
nen Orten oder eine Konzertreise mit mehre-
ren Live-Auftritten einer Musicalproduktion
(diese Ausführungen gelten auch für Rock/
Pop-Veranstaltungen). Verantwortlich für die
Durchführung einer Tour ist der Tourneeveran-
stalter. Dieser plant, organisiert und führt Mu-
sicals und Shows in mehreren Städten auf. Im
Musical-Bereich werden Veranstalter auch als
Tourneetheater bezeichnet. Hierzu zählen
kommerzielle, rein erwerbswirtschaftlich aus-
gerichtete Unternehmen, die über keine eige-
ne Spielstätte verfügen, sondern mit einer
oder mehreren Musicalproduktionen parallel
auf Tour sind. Sie verfügen über kein eigenes,
festes Ensemble,
sondern schließen für
jede Produktion und Tournee befristete
Verträge ab
. Dies gilt auch für die Spielstät-
ten. Ihr Absatzrisiko sichern sich Tourneethea-
ter durch die Verpflichtung international be-
kannter Produktionen ab.
Um namhafte Produktionen wie Evita oder West
Side Story im deutschsprachigen Raum aufzu-
führen, benötigt der Tourneeveranstalter die Li-
zenz- und Aufführungsrechte des jeweiligen
Stückes. Diese werden entweder von Theater-
verlagen oder namhaften Produzenten bzw.
Komponisten wie Andrew Lloyd Webber und
Cameron Mackintosh (Phantom der Oper) oder
ihren Produktionsunternehmen (z. B. Really
Useful Group Ltd.) gehalten. Musicals können
auf zwei Wegen zur Tourneeaufführung ge-
bracht werden. (1) Im Rahmen eines Tournee-
vertrags (Promotion Agreement). Hierbei erhält
der Tourveranstalter räumlich und zeitlich be-
grenzte Aufführungsrechte einer Show, eine
tourneefähige Produktion inkl. Rechte, Bühne,
Künstler, Tänzer, Musiker und alle weiteren für
die Show erforderlichen Rechte. Als Gegenleis-
tung erhält der Lizenzgerber
Einnahmen aus
Lizenzgebühren
(Royalties) und aus den
Auf-
führungsrechten
(Fees, als Umsatz- und/oder
Gewinnbeteiligung), deren Höhe sich nach der
Anzahl der verkauften Tickets richtet. (2) Als
(Quasi-)Eigenproduktion. Beteiligt sich der
Tourneeveranstalter mit eigenen Mitteln an ei-
ner Tourproduktion z. B. für Deutschland,
schließt er mit dem ursprünglichen Produzent
bzw. dem Lizenzinhaber der Show einen räum-
lich und zeitlich begrenzten exklusiven Lizenz-
vertrag über die Produktion und Aufführung ei-
nes Musicals ab. In diesem Fall verpflichtet sich
der Lizenznehmer nicht nur zur genauen Einhal-
tung der Originalvorlage des Komponisten, des
Regisseurs der Erstaufführung sowie den sons-
tigen Mitarbeitern des „creative teams“ wie z. B.
Sound- und Lichtdesigner, sondern auch zur
Einhaltung der Vorgaben zur Reproduktion des
Bühnenbilds und der Kostüme der Originalauf-
führung (vgl. Schäfer, 1998, S. 89ff.). In diesem
Fall erstellt der Tourneeveranstalter auf eigene
Rechnung eine tourfähige Show. Für die Einräu-
mung der Rechte, hierzu zählen auch die origi-
nal Vermarktungs- und Werbelogos, zahlt der
Lizenznehmer
zusätzliche Lizenzgebühren
,
wie z. B. Creative Team Royalties und Merchan-
dise Royalties.
Unabhängig, ob Fremd- oder Eigenproduktion,
schaltet der Tourneeveranstalter zwecks
Durchführung einer Tournee i.d.R. örtliche
Partner bzw. Konzertveranstalter ein. Dies er-
folgt aus Gründen der Risikoteilung oder, weil
der örtliche Partner exklusiven Zugang (auch
i.S.v. besseren Konditionen) zu attraktiven Ver-
anstaltungsstätten oder örtlichen Werbepart-
nern (z. B. Tageszeitung) hat. Im örtlichen
Durchführungsvertrag werden die Leistungs-
strukturen zwischen Tournee- und örtlichem
Veranstalter geregelt. Zu den Aufgaben des
örtlichen Veranstalters gehören z. B. die Anmie-
tung der Spielstätten, die lokale Werbung (Ra-
dio, Plakate, Anzeigen, Flyer) und der Bühnen-
auf- und -abbau. Der Tourneeveranstalter lie-
fert die Show und erhält hierfür z. B. eine Mini-
mumgarantie. Ein möglicher Gewinn aus der
Veranstaltung, nach Deckung der Garantie und
örtlichen Kosten, wird gemäß den vertraglichen
Vereinbarungen zwischen Tournee- und ört-
lichem Veranstalter aufgeteilt.
Je erfolgreicher Musicalshows sind, d. h. je
größer die Erwartungen über verkaufte Ein-
trittskarten und damit Umsatz bzw. Gewinn
sind, desto höher werden die geforderten Li-
zenz- und Garantiezahlungen sowie Beteili-
gungsquoten des Lizenzgebers an den Tour-
neeveranstalter und damit wiederum die For-
derungen an den örtlichen Veranstalter ausfal-
len. Gleichzeitig werden die Tourneeveranstalter
und örtlichen Partner bereit sein, ein höheres
Risiko in Form der geforderten finanziellen
Leistungen einzugehen, um sich die Lizenz-
und Aufführungsrechte für die Tournee bzw.
Stadt zu sichern.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass
neben der Show und den Akteuren vor allem
die Tournee-, Aufführungs- und Lizenzrechte
wichtige Bestandteile des Live-Entertainment
Marktes sind.
Das Musical als Projekt
Projekte zeichnen sich durch eindeutige Ziel-
vorgaben, zeitliche Begrenzungen, durch Pro-
jektanfang und -ende, eine einmalige und zu-
meist komplexe Aufgabenstellung, begrenzte
Ressourcen, eine eigene Organisationsform
und die Zusammenarbeit über mehrere inter-
ne Organisationseinheiten sowie mit externen
Partnern aus. Mit Blick auf Musicals, dies gilt
auch für Rock/Pop-Veranstaltungen, können
sowohl einzelne Aufführungen als auch eine
ganze Tournee als Projekt bezeichnet werden.
In diesem Sinne ist der Tourneeveranstalter
als Projektmanager für die Gesamtheit der
Aufgaben, Organisation, Techniken und Mit-
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