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Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
spezial Softwarekompendium 2017
personalmagazin:
Bedeutet das, dass in
Zukunft Meister oder Facharbeiter gar
nicht mehr so gefragt sein werden?
Röhrig:
Nein, ganz im Gegenteil: Es gibt
nach wie vor einen unglaublichen Man-
gel an Facharbeitern und Meistern. Ein
Datenanalyst wird möglicherweise zu-
sätzlich eine Arbeitsvorbereitung un-
terstützen. Das ist auch eine Aussage
der Commerzbank-Studie: Noch 2015
rechneten die meisten Unternehmen
damit, dass Industrie 4.0 die Beschäfti-
gungssituation entschärfen würde, weil
dadurch Arbeitsplätze wegrationalisiert
werden. Heute sagen 43 Prozent der Be-
fragten, dass es sogar mehr Arbeitsplät-
ze geben wird, weil durch Industrie 4.0
mehr Arbeitsplätze geschaffen werden.
personalmagazin:
Werden diese Entwicklun-
gen die Personalarbeit in den Unterneh-
men verändern?
Röhrig:
Auf jeden Fall. Deshalb sagen
wir auch, dass Industrie 4.0 und Arbei-
ten 4.0 nicht isoliert betrachtet werden
dürfen. Bei GFOS sprechen wir immer
von „Industrie 4.0 Human“. Wir sind
der festen Meinung, dass der Mensch
die wichtigste und entscheidende Ins-
tanz bleiben muss. Die qualifizierten
Mitarbeiter bringen ihre langjährige Er-
fahrung sowie ihre Kreativität und Fle-
xibilität in die verschiedenen Prozesse
mit ein. Hier können Technologien wie
Workforce-Management-Systeme
mit
einem integrierten Manufacturing-Exe-
cution-System dafür sorgen, die Inter-
essen von Unternehmen und Menschen
zu harmonisieren. Eine solche Software
ist in der Lage, belastungsorientierte
Arbeitszeitmodelle zu generieren oder
zusätzliche Pausen anzuweisen, um die
Mitarbeiter fit und gesund zu halten.
Diensttauschbörsen über Employee-Self-
Service-Terminals ermöglichen auch für
die Mitarbeiter Flexibilität. Eine inte-
grierte Personaleinsatzplanung stellt
Einsatzgerechtigkeit sicher und weist
diese jederzeit nach. Das sind unserer
Ansicht nach Instrumente, die der Mo-
tivation der Mitarbeiter sehr förderlich
sein können.
personalmagazin:
Heißt das auch: Ohne
Employee Self Services und mobile
Anwendungen werden es die Unterneh-
men schwer haben, Mitarbeiter für sich
begeistern zu können?
Röhrig:
Das muss nicht der Fall sein.
Allerdings glaube ich, dass solche Ge-
räte selbstverständlich werden, weil
Verwaltungsprozesse damit wesentlich
effizienter werden. Ein Beispiel ist der
Urlaubsantrag: Der Mitarbeiter geht
zum Meister. Der Meister hat kein For-
mular. Der Meister besorgt Formulare.
Der Mitarbeiter füllt das Formular aus.
Das Ganze nimmt seinen Weg, einen
papierbasierten Workflow bis hin zur
Personalabteilung. Irgendwann be-
kommt der Mitarbeiter den Bescheid,
dass der Urlaub genehmigt ist. Gibt
der Mitarbeiter seinen Urlaubsantrag
dagegen in einem Self-Services-Gerät
ein, ist sichergestellt, dass dieser gleich
zum nächsten Vorgesetzten weitergeht.
Dieser leitet ihn zur Personalabteilung
und der Mitarbeiter erhält automatisch
den Bescheid. Über das Employee-Self-
Services-Terminal kann der Mitarbeiter
den Status seines Antrags abfragen. Pro
Urlaubsantrag spart das für die Beteilig-
ten ungefähr eine Viertelstunde ein.
personalmagazin:
Bei wie vielen Firmen ist
das Antragswesen noch papierbasiert?
Röhrig:
Das sind einige! Wie gesagt be-
trägt der Nachholbedarf der Unterneh-
men bis 2020 mindestens 31 Milliarden
Euro jährlich. Da muss noch einiges in
die Digitalisierungsprozesse investiert
werden.
personalmagazin:
Das bedeutet aber auch,
dass auf die Personaler sowie auf die
Mitarbeiter zahlreiche Veränderungen
zukommen, dass sie neue Anwendungen
erlernen und akzeptieren müssen.
Röhrig:
Ja. Das wird auch die zentrale
Herausforderung sein, wenn Unterneh-
men Mitarbeiter auf dem Weg zur Digi-
talisierung nicht verlieren wollen. Aber
wir dürfen die Mitarbeiter auch nicht
unterschätzen. Überwiegend sind die
Mitarbeiter bereits durch die Nutzung
des Internets und ihrer Smartphones
mit den zahlreichen Apps gewohnt, ver-
schiedene Dialoge und Anwendungen
zu bedienen. Darüber hinaus müssen
wir Anwendungen besser bedienbar
machen. Deshalb glauben wir, dass der
Ergonomie eine zentrale Bedeutung
zukommt. Schon in wenigen Jahren
werden wir gewohnt sein, Eingaben
per Sprache oder auch Gestik vorzuneh-
men. Diese Entwicklungen lassen sich
nicht aufhalten. Solche Anwendungen
werden selbstverständlich und tragen
wiederum zur Effizienzsteigerung bei.
Zudem bin ich davon überzeugt, dass In-
dustrie 4.0 mehr dezentrale Verantwor-
tung erfordert. Wenn wir Werkstücken
zutrauen, sich selbst den in der aktuel-
len Situation am besten passenden Weg
durch die Fertigung zu suchen, dann
sollten wir auch den Mitarbeitern mehr
Möglichkeiten zur Selbstorganisation
zubilligen.
Das Interview führte
Daniela Furkel.
BURKHARD RÖHRIG
ist Vorstandsvorsit-
zender des VDMA-Fachverbands Software
und Digitalisierung sowie geschäftsführen-
der Gesellschafter der GFOS mbH in Essen.
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