Wirtschaft- und Weiterbildung 7-8/2018 - page 64

grundls grundgesetz
Boris Grundl
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wirtschaft + weiterbildung
07/08_2018
Kommt Ihnen dieses Statement bekannt vor: „Das
hätte ich dir gleich sagen können.“ Wie oft passiert
es, dass bei Diskussionsrunden im Fernsehen,
bei Familienfesten oder Meetings in Unternehmen
„gefühlte“ Experten beisammensitzen und sich
mit aller Kraft bekämpfen? Geht es dabei um Aus-
tausch und gegenseitige Inspiration (also voneinan-
der lernen) oder um Selbstbestätigung?
Ich habe selbst erlebt, wie bei der Besetzung von
Talkshows bereits im Vorfeld dafür gesorgt wird,
dass möglichst viele unterschiedlich tickende
kampfbereite Meinungsvertreter im Raum sind.
Jeder Moderator freut sich, wenn es knallt, das
sorgt für Quoten.
So verständlich das ist, so klar ist auch: Augen-
scheinlich geht es vielen weniger um die Sache,
sondern vielmehr darum, nicht nur recht zu haben,
sondern am besten von der Gegenseite auch recht
zu bekommen. Und sich dadurch noch mehr im
Recht zu fühlen.
Wie kommt es, dass bei einer Befragung der Nürn-
berger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK)
2014 jeder Dritte der mehr als tausend Befragten
erklärte, dass er schon einmal Streit mit Nachbarn
hatte? In Hamburg sogar jeder Zweite. Es geht dabei
um Laubbläser, ungeputzte Treppen, Gartenzwerge.
Nicht selten werden diese Konflikte vor Gericht
ausgetragen. Dort geht es bekanntermaßen immer
ums Rechthaben, beziehungsweise darum, dass
der Richter einer Partei hochoffiziell bestätigt, dass
sie recht hat. Natürlich gibt es Fälle, die gerichtlich
geklärt werden müssen, jedoch: Die meisten Kon-
flikte ließen sich durch den gesunden Menschen-
verstand einfach und schnell klären. Denken wir
an den Rosenkrieg bei Scheidungen oder Partner-
schaftsstreits: Wie oft ist dort „Recht-haben-wollen“
das Nummer-eins-Motiv? Mit allen Mitteln will man
seine gefühlte Verletzung dem anderen heimzahlen.
Schlimmstenfalls versucht man, über die Kinder
Macht auszuüben und schadet ihnen dabei. Von
Verantwortung keine Spur!
Egal, ob im Meeting, in der Talkshow oder beim
Nachbarschaftszwist: Der Bestätigungs-
wahn kennt keine Grenzen. Weil es so oft
vorkommt, halten wir das für normal. Ich
finde das überhaupt nicht normal und
benenne diese geistige Enge, wo immer
ich kann. Ich verstehe, warum Menschen
so sind, bin damit jedoch überhaupt nicht einver-
standen. Dahinter steckt nichts anderes als das
Bedürfnis nach Bestätigung der Position als mick-
riger Ersatz für die Anerkennung der Person. Wenn
ich recht habe, bin ich richtig! Beide Wörter ent-
springen der gleichen Wurzel! Beim „Recht-haben-
wollen“ werden tiefe innere Ansichten von der Welt
berührt, die sich darin zeigen, wie mein Gegenüber
denkt, fühlt und handelt. Tiefe innere Vorstellungen,
die stark mit Emotionen verknüpft sind.
Uns interessiert dann nicht, was wir vom anderen
vielleicht lernen könnten. Wir fragen nicht: „Was
ergibt jetzt gerade am meisten Sinn?“ Uns interes-
siert, was an unserer Sicht der Dinge besser ist.
Selbstbestätigung schlägt Lernbestrebung. Bitte
seien Sie ab sofort klüger und umso hartnäckiger.
„Der Klügere gibt nach“, weiß der Volksmund. Und
ich füge hinzu: „Der Klügere gibt jetzt nach.“ Denn
seine tiefer durchdachten Ideen werden sich mit der
Zeit garantiert durchsetzen. Gestatten Sie mir zum
Schluss eine Frage: Zu welcher mentalen Fraktion
gehören Sie?
Paragraf 67
Ersetze „recht haben
wollen“ durch Sinn
Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden.
Er gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein jüngstes Buch heißt „Verstehen heißt nicht einverstanden sein“ (Econ
Verlag, Oktober 2017). Boris Grundl zeigt, wie wir uns von oberflächlichem Schwarz-Weiß-Denken verabschieden. Wie wir lernen, klug hinzuhören, differenzierter
zu bewerten, die Perspektiven zu wechseln und unsere Sicht zu erweitern.
Viele wollen nicht nur recht haben,
sondern unbedingt auch noch von der
Gegenseite recht bekommen.
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