WIRTSCHAFT UND WEITERBILDUNG 6/2017 - page 62

fachliteratur
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wirtschaft + weiterbildung
06_2017
„Die Rede ist das älteste und mächtigste Mittel, um
auf sich aufmerksam zu machen – aber Zuhören ist
die Schlüsselkompetenz der Zukunft“: Dies ist die
These von Jon Christoph Berndts Buch „Aufmerk-
samkeit“ mit dem etwas missverständlichen Unter-
titel „Warum wir sie so oft vermissen und wie wir
kriegen, was wir wollen“. Denn in Berndts Buch geht
es nicht darum, die Leser zu rücksichtslosen Auf-
merksamkeitsheischern zu erziehen. Im Gegenteil:
Bernd kritisiert solche Zeitgenossen gleich zu Anfang
in einer humorvollen Typologie von „Nicht-Zuhö-
rern“: Von „Stichwortgrapschern“ ist da die Rede, die
jede Gelegenheit ergreifen, um ein Gespräch an sich
zu reißen, oder von „Polypen“, die sich „saugnapf­
artig“ an ihrem Gesprächspartner „festsaugen“.
Was zunächst humoristisch anmutet, steuert der
Autor schnell in Richtung eines ernsten Kerns: Er kri-
tisiert die Kommunikationskultur der digitalen Welt,
in der Internet-Trolle ihre Meinung jederzeit ungefil-
tert und anonym kundtun können – der Querdenker
Gunter Dueck hat dieses Phänomen kürzlich in sei-
nem Buch „Flachsinn: Ich habe Hirn, ich will hier
raus“ als „Aufmerksamkeitsgerangel“ bezeichnet.
Berndt schlägt einen Weg aus der Aufmerksamkeits-
falle vor: das Zuhören als „die gelebte, entgegenge-
brachte Aufmerksamkeit“ und damit „die härteste
Währung, die es gibt – und gleichzeitig die Voraus-
setzung dafür, Aufmerksamkeit geschenkt zu bekom-
men“. Anhand verschiedener Beispiele zeigt er, wie
auch Unternehmen und Führungskräfte diese Beach-
tung gewinnen können: mit einem echten Verständ-
nis für die Anliegen anderer und einem darauf ab-
gestimmten sinnstiftenden Handeln. Weiterhin gibt
Berndt Tipps, wie eine einfühlsame, kollaborierende
Gesprächsführung funktionieren kann und dazu,
was sich gegen die „Stichwortgrapscher“, „Polypen“
& Co. unternehmen lässt: etwa aktiv Fragen zu stel-
len, humorvoll zu kritisieren und zu provozieren.
Ein letztes Kapitel dreht sich schließlich um authen-
tisches Selbstmarketing auf der Grundlage echter
Aufmerksamkeit. Zuletzt gibt es einen Selbsttest, mit
dem der Leser herausfinden kann, ob er ein guter
Zuhörer ist. Berndt beackert sein ernstes Thema mit
ebenso viel rhetorischer Feinfühligkeit und Humor,
wie er sie auch seinen Lesern empfiehlt. So kommt
seine Botschaft ebenso elegant und unmissverständ-
lich beim Leser an wie hoffentlich dessen Botschaft
an den nächsten Stichwortgrapscher.
Jon Christoph Berndt
berät Unternehmen und Indivi-
duen bei der Münchner Manage-
mentberatung „Brandamazing“.
Seine Beratungsschwerpunkte
sind die Themen „Executive Coaching“, „Human Bran-
ding“ und „Entwicklung von Unternehmens- und Produkt-
marken“. Berndt ist zudem als Vortragsredner aktiv und
hat bereits mehrere Bücher geschrieben. Daneben ist er
Dozent an der Universität St. Gallen.
AUTOR
Foto: Philipp Wulk
Stichwortgrapscher: Was tun?
KRITIK AM AUFMERKSAMKEITSGERANGEL
Jon Christoph Berndt
Aufmerksamkeit: Warum wir sie so oft vermissen
und wie wir kriegen, was wir wollen, Econ,
Berlin 2017, 224 Seiten, 16,99 Euro
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