wirtschaft und weiterbildung 3/2017 - page 64

grundls grundgesetz
Boris Grundl
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wirtschaft + weiterbildung
03_2017
An was glauben Sie? An Gott? Oder sind religiöse
Empfindungen absurd? An die Wissenschaft? Nur
an das, was Sie sehen? An die Liebe? Schicksal?
An die Gesetze des Marktes? Gar an Gerechtigkeit?
Oder an die heiligen Kräfte eines Wassers, das bei
Vollmond und kniend im Rückwärtsgang bei Gegen-
wind aus einem Brunnen geschöpft wurde?
„Reden Sie auf keinen Fall über Religion, Politik
und Sexualität“, sagen viele, die das dünne Eis der
Missverständnisse kennen. Sich religiös diskri-
miniert und gemobbt zu fühlen, geht schnell. Vor
allem, wenn man jederzeit in Lauerstellung nach
der nächsten Zurücksetzung Ausschau hält. Als
Schwerstbehinderter und Kenner der Behinder-
tenszene weiß ich, wovon ich rede. Scheinbar geht
es hier ums Eingemachte. Es werden Weltbilder
berührt. Tiefe innere Bilder, die stark mit Emotionen
verknüpft sind. Unser Verstand weiß zwar, dass die
Sichtweise jedes Einzelnen vollen Respekt verdient.
Trotzdem beschleicht uns das Gefühl, unsere Sicht
auf die Welt sei die bessere und richtigere. Unbe-
wusst schauen wir auf Andersdenkende herab:
„Sicher darfst du so denken. Aber eigentlich weiß
ich es besser.“ Toleranz als Gnadenakt.
Eine Frage: Kann man einen Menschen in seinem
Glauben beleidigen, wenn er diesen tief und fest in
sich trägt? Oder wäre sein Gefühl der Betroffenheit
nicht eher Ausdruck inneren Zweifels an seiner
Überzeugung? Fühle ich mich mit einer Million auf
dem Konto angegriffen, wenn jemand mich als
armen Kerl tituliert? Ein interessanter Gedanke,
nicht wahr? Weil aber tieferes Nachdenken über
das Aushalten von Andersartigkeit so anstrengend
ist, flüchten sich einige ins Extreme. Das ist so
schön einfach. Am Ende fallen sie auf zwei schein-
bare Selbstverständlichkeiten herein. Erstens:
Mein Horizont ist der einzig richtige. Zweitens: Nur
das Extreme hat das Zeug zur Wahrheit. Der Geist
wird eng. Das Bewusstsein wird schwach, weil
die Bewusstheit fehlt. Was macht diese
Bewusstheit aus? Ist sie etwas Greifbares
oder etwas für Kaffeesatzleser? Da für
mich das „Nicht-Sichtbare“ und „Nicht-
Greifbare“ schon immer Realität und
Bedeutung hatten, fand ich folgendes Bild
stets hilfreich: Wir alle senden wie ein UKW-Radio­
sender und empfangen wie ein UKW-Radioemp-
fänger auf unterschiedlichen Frequenzen. Dadurch
erklären sich Sympathie, Antipathie, Resonanz und
Kreativität für mich. Oder mit Ralph Waldo Emer-
son: „Der Unterschied zwischen Landschaft und
Landschaft ist klein. Doch groß ist der Unterschied
zwischen den Betrachtern.“
Ist das UKW-Bild richtig oder falsch? Keine Ahnung.
Ich weiß nur, es passt für mich sehr gut und hilft
mir in vielen Dingen weiter. In manchen auch nicht.
Deshalb bin ich stets auf der Suche nach anderen,
kraftvollen Sichtweisen, die mir beim Erfassen der
Welt noch bessere Dienste leisten. Und das ist
für mich der Grund, warum ich den Austausch mit
anderen so genieße. Es gibt so viel zu lernen. Des-
wegen frage ich Sie nicht nur in der Religion primär,
an was Sie glauben, sondern was das bei Ihnen
bewirkt. Darum geht es im Kern. Wobei hilft Ihnen
der Glaube an Gott oder an etwas anderes?
Ich kenne Atheisten, die christliche Werte leben,
und Kirchgänger, deren Manipulationen dem Teufel
die größte Freude machen. Deswegen: Respektie-
ren Sie den Glauben anderer und vermeiden Sie
Überlegenheitsgefühle. Das bringt einfach nichts.
Paragraf 53
Vermeide Überlegen-
heitsgefühle!
Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden.
Grundl gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein neues Buch heißt: „Mach mich glücklich. Wie Sie das bekommen,
was jeder haben will“ (Econ Verlag 2014, 246 Seiten, 18 Euro). Boris Grundl beweist, wie leicht und schnell das Verschieben von Verantwortung in eine
zerstörerische Sackgasse führt und die persönliche Weiterentwicklung und damit Glück verhindert.
Fühle ich mich mit einer Million auf
dem Konto angegriffen, wenn jemand
mich als armen Kerl tituliert?
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