wirtschaft und weiterbildung 2/2016 - page 64

grundls grundgesetz
Boris Grundl
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wirtschaft + weiterbildung
02_2016
„Angst“ kommt vom lateinischen „angustus“ und
das bedeutet „Enge“. „Die Angst schnürte ihm die
Kehle zu“, sagt der Volksmund. Sie zuzugeben, ist
verpönt – eine Kultur der Angstverleugnung, trotz
ihrer Allgegenwart. Dass Angst Schwäche bedeutet,
ist immer noch weit verbreitet. Doch im Gegen-
teil: Sie ist eine unglaubliche Kraft, wenn wir sie
konstruktiv einsetzen lernen.
Wenn wir sie bewusst oder unbewusst kompen-
sieren, sind wir nicht mehr bei uns. Das lähmt und
hemmt unsere Entwicklung. Sind andere „besser“,
angstfreier als wir? Nein! Menschen sind angst-
besetzte Wesen. Das bestätigen Studien ebenso
wie meine 15-jährige Erfahrung in der Führungs-
kräfteentwicklung. Angst ist nichts Negatives und
sichert unser Überleben. Ohne sie würden wir früh
an Dummheit sterben. Wir müssen sie nur erken-
nen, annehmen und uns ihr stellen. Als Sklave sind
wir ihr ausgeliefert, als ihr Herr machen wir sie zu
einem Gestaltungswerkzeug unserer Entwicklung.
Herr anstatt Sklave. Darauf kommt es an.
Viele nutzlose Eigenschaften entstammen ver-
drängter Angst. Gier aus der Angst, zu kurz zu kom-
men. Überzogener Ehrgeiz übertönt die Unsicher-
heit, nicht anerkannt zu werden. Ungeduld ist die
Angst, etwas nicht zu schaffen. Sorge vor Ablehnung
macht uns zu Jasagern. Mit Totstellen, Wegrennen
oder Aggressionskompensation können wir ihr nicht
entgehen. Wir machen uns zu Dienern, ja zu Dep-
pen der Angst. Wer das spürt, kann uns ausnutzen.
Er jagt uns ins Bockshorn und bremst uns, wo wir
besser werden könnten.
Wahrer Mut liegt nicht in den Dingen, die wir tun,
sondern in der Überwindung dessen, was uns
zurückhält. Mutig ist nicht der Fallschirmspringer,
der keine Höhenangst kennt. Mutig ist der Ängst-
liche, der sich trotzdem auf eine Leiter wagt. Stellen
Sie sich eine Führungskraft vor, die befürchtet,
nicht gemocht zu werden. Liefert sie sich dem aus,
fordert sie zu wenig Verantwortung ein und macht
es lieber selbst. Bloß nicht unbeliebt machen!
Für mehr Wirkung braucht sie den Dreiklang der
Transformation. Zuerst das intellektuelle Erkennen:
„Ich habe Angst.“ Dann das emotionale Anerken-
nen: „Das macht sie mit mir und ich stehe dazu.“
Schließlich die Transformation: „Ich handle mutig,
trotzdem.“
Damit entscheidet sie sich für kurzfristigen Schmerz
(Überwindung) und mittelfristige Freude (Wachs-
tum der Mitarbeiter). Führungskräfte, die auf kurz­
fristige Freude (beliebt sein) ausweichen, können
sich später nicht an der Entwicklung der Mitarbeiter
freuen. Denn wer aus Angst gelähmt oder aggressiv
reagiert, produziert Lähmung und Aggres-
sivität in anderen. Und wer zeigt, dass
seine Transformation die Befürchtungen
besiegt, erzeugt mutige Mitstreiter. Des-
wegen empfiehlt der Weisheitslehrer Thích
Nhât H .anh: „Umarme deine Angst.“
Das ist eine extreme Herausforderung.
Doch das „mentale Fitnessstudio“ hilft:
Fordernde Ziele überstrahlen die Enge. Behalten
Sie das Ergebnis im Blick. Lassen Sie Ihre Angst
schmelzen durch Dankbarkeit für das, was Sie
bereits geschafft haben. Oder kurz: Verliebe dich
ins Ergebnis und du wirst deine Angst auf dem Weg
bezwingen. Denn wer seine Angst transformiert,
gewinnt einen Freund, der ihn weiterbringt.
Paragraf 42
Mach deine Angst
zum Freund
Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden.
Grundl gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein neues Buch heißt: „Mach mich glücklich. Wie Sie das bekommen,
was jeder haben will“ (Econ Verlag 2014, 246 Seiten, 18 Euro). Boris Grundl beweist, wie leicht und schnell das Verschieben von Verantwortung in eine
zerstörerische Sackgasse führt und die persönliche Weiterentwicklung und damit Glück verhindert.
Dass Angst Schwäche bedeutet, ist
immer noch weit verbreitet.
Doch im Gegenteil: Sie ist eine
unglaubliche Kraft!
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