editorial
wirtschaft + weiterbildung
10_2015
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Kurz bevor dieses Heft gedruckt wurde, erreichte uns noch die Nachricht,
dass im US-Bundesstaat Wyoming ein schwachsinniges Erziehungs-
experiment schiefgegangen ist. Ein 16-Jähriger hatte seine Mutter und
seinen Stiefvater damit genervt, endlich einmal Alkohol trinken zu dürfen.
Da der leibliche Vater des Jungen Alkoholiker ist, wollte ihm seine Mutter
das Verlangen nach Bier und Whiskey mit einem Trick für immer
austreiben.
Ihm wurde erlaubt, an einem Abend so viel aus der Hausbar zu trinken,
wie er Lust hatte. Der Junge kippte ungehemmt ziemlich schnell ziemlich
viel in sich hinein und ging gegen 23 Uhr schlafen. Er starb während der
Nacht unbemerkt von seinen Eltern an den Folgen einer Alkohol-
vergiftung. Laut Autopsiebericht hatte er 5,87 Promille Alkohol im Blut.
Dieser pädagogische Amoklauf zeigt, wie schmal der Grat zwischen
„entdeckendem Lernen“ und „unreflektiertem Selbstexperiment“ ist.
Übersehen wurde bei dieser Lektion ja wohl, dass jeder, der zum ersten
Mal Alkohol trinkt, dessen „umwerfende“ Wirkung erst dann spürt, wenn
es zu spät ist. Ein anderer Denkfehler: Der erste Alkoholkonsum hat selten
Positives. Viele Anfänger trinken aber trotzdem weiter, weil sie dafür die
Anerkennung ihrer Kumpels bekommen und weil sie bei den anderen eine
stimmungshebende Wirkung beobachten und so am Modell lernen.
Sobald der Junge aus Wyoming ohne Aufsicht mit seinen Freunden
gebechert hätte, wäre er wohl erst richtig gefährdet gewesen. Die Eltern
hätten besser daran getan, „systemisch“ zu denken und ihrem Sohn mit
einem intakten Familienleben zu einer starken Persönlichkeit zu
verhelfen. Als Vorbilder hätten sie ihm jene Selbstsicherheit beigebracht,
die es einem ermöglicht, Konsumangebote trotz sozialen Drucks ablehnen
zu können. Bevor Sie jetzt das dunkle Zeitalter der Pädagogik nur in den
USA vermuten: In Nürnberg steht gerade ein Berufsschullehrer vor
Gericht, der Strom durch die Körper von Schülern leitete, um sie vor der
Kraft der Elektrizität zu warnen. Einige hatten dort, wo sie die
entsprechenden Drähte berührten, Brandwunden. Einer kam mit
Herzflimmern in die Notaufnahme.
Tödliche Lektion
Viel Spaß beim Lesen
des neuen Hefts
wünscht
Martin Pichler, Chefredakteur