wirtschaft und weiterbildung 05/2015 - page 64

grundls grundgesetz
Boris Grundl
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wirtschaft + weiterbildung
05_2015
Sie wachen auf. Ihr Körper fühlt sich wie ein
schwerer, antriebsloser Sack an. Zuerst ins Bad.
Routinehandlungen, Turbofrühstück, ab ins Büro.
Auf dem Gang begegnet Ihnen ein unverschämt
gut gelaunter Mitarbeiter: „Hallo Chef, wie geht
es Ihnen an diesem tollen Tag?“ Sie ganz ehrlich:
„Miserabel. Keine Lust. Ich würde am liebsten zu
Hause die Füße hochlegen!“ Die Reaktion: „Chef,
Sie sind so wunderbar authentisch!“
Natürlich passiert Ihnen das nicht mehr, aber
vielleicht kennen Sie einen, der so tickt? „Authenti-
zität“ heißt die Sau, die seit geraumer Zeit durchs
Dorf der Führungstrainings getrieben wird: Immer
Mensch bleiben. Sei ganz du, und alle werden dir
folgen! Sei ungefiltert, sei stimmig, mach aus dei-
nem Herzen keine Mördergrube! Szenenwechsel:
Sie beim Kunden. Ein Millionendeal. Doch es gibt
ein Problem. Die Vorstellung, sich künftig intensiv
mit diesem Menschen auseinanderzusetzen, dreht
Ihnen den Magen um. Sagen Sie jetzt auch total
authentisch: „Tut mir leid. Ich mag Sie nicht. Wir
sollten das beenden, bevor es begonnen hat“?
So ist das mit Modeworten und Modewellen. Bera-
ter, Trainer, Coachs und Vortragsredner beglücken
vom Alltag gelangweilte Führungskräfte. „Jedem
Anfang wohnt ein Zauber inne“, sagte Hermann
Hesse zu Recht. Ist doch das Neue, Frische,
Moderne ach so animierend. Hesse verschweigt,
dass dem Neuen nicht automatisch Substanz,
Tiefe und erstklassige Ergebnisse innewohnen.
Also erfindet ein marketingstarker Mensch eine
geistige Maus und macht einen Elefanten daraus.
Er benennt einen Workshop danach, macht den
Mini-Nager zum Vortragsthema und druckt ihn fett
auf ein Buchcover. Weitere Bücher anderer Autoren
folgen. Die Welle nährt sich selbst. Und weil immer
mehr darüber reden, glauben alle, der Stein der
Weisen sei ihnen vor die Füße gefallen. Doch da
die Welle niemals Probleme an der Wurzel löst,
geht die Suche weiter. Neue Schlagworte: „Nach-
haltigkeit“ oder „Resilienz“. Auf zur nächsten Sau.
Dabei ist Authentizität überhaupt kein
Mode-Gag, sondern die tiefe Stimmig-
keit von innerem Erleben und äußerer
Wirkung. Sie ahnen es. Hier wartet eine
Lebensaufgabe, ein Lebenswegwei-
ser! Authentizität lernt man weder im
45-Minuten-Vortrag noch im Tagesseminar. Sie tief
zu verstehen und durch Ergebnisse und Leistungen
das Recht zu erwerben, sie zeigen zu dürfen, ist
ein Privileg. Das erreichen nur wenige. Tiefes Ver-
stehen heißt, zu wissen, dass Authentizität nicht
bedeutet, jede Laune auszuleben und jedes Leid
und jede Freude in die Welt zu posaunen. Es geht
eher um eine „professionelle Stimmigkeit“. Sie hat
ihre Zeit, ihren Ort und ihre Art und Weise. Immer
stimmiger werden und diese Stimmigkeit auch
leben dürfen. Was für eine Gnade.
Konzentrieren Sie sich nicht auf Modethemen,
sondern auf das, was nach der Welle bleibt – das
Substanzielle, meist Basics. Grundlegendes. Es
war schon immer so: Wer Grundlegendes außerge-
wöhnlich konsequent lebt, liegt weit vorne. Authen-
tizität ist eine Frage der Stimmigkeit mit sich
selbst. Nur wer sich selbst immer besser erkennt
und anerkennt, kann dieser Stimmigkeit mutig fol-
gen. Schritt für Schritt. Wenn Sie so leben, spüren
Sie, wie Ihre Wirkung auf andere immer stärker
wird. So lange, bis Sie ganz bei sich angekommen
sind und genau das leben dürfen. Mehr geht nicht.
Paragraf 35
Modethemen
ignorieren
Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden.
Grundl gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein neues Buch heißt: „Mach mich glücklich. Wie Sie das bekommen,
was jeder haben will“ (Econ Verlag 2014, 246 Seiten, 18 Euro). Boris Grundl beweist, wie leicht und schnell das Verschieben von Verantwortung in eine
zerstörerische Sackgasse führt und die persönliche Weiterentwicklung und damit Glück verhindert.
Authentizität bedeutet nicht, jede
Laune auszuleben und jedes Leid und
jede Freude in die Welt zu posaunen.
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