wirtschaft und weiterbildung 06/2015 - page 64

grundls grundgesetz
Boris Grundl
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wirtschaft + weiterbildung
06_2015
Nachhaltigkeit! Wie schaffte es ein 300 Jahre alter
Begriff, im 21. Jahrhundert zu einem Leitstern
zu werden? Was für eine sensationelle Karriere!
Eines jedoch wundert mich nicht. Nämlich, wie
schnell dieser tiefe Gedanke aufgeweicht und von
oberflächlich starken Kommunikatoren in ihrem
Einflussstreben zweckentfremdet wird. Grund
genug, sich für die Ernsthaften ein paar Gedanken
zu machen.
Im Jahr 1713 plädierte Carl von Carlowitz erst-
mals für „nachhaltendes“ Wirtschaften. Er tat das
im Angesicht des hohen Holzverbrauchs in den
Schmelzöfen der kursächsischen Silberindustrie.
Daher verwenden heute viele Nachhaltigkeit vor
allem im Zusammenhang mit Umweltschutz und
Ressourcenschonung und beziehen es vorwiegend
auf Produkte und industrielle Techniken. Doch
Nachhaltigkeit bedeutet inzwischen viel mehr als
das. Sie beinhaltet auch ein mentales Gesetz.
Wohin führen mein Denken und damit mein Han-
deln und Wirken? Und was passiert dann damit?
Somit kann Nachhaltigkeit zu einem Leitstern per-
sönlicher Entwicklung werden. Und damit berührt
sie jedes menschliche Handeln.
Ist Biokraftstoff nachhaltig? Die Produzenten und
Profiteure behaupten das. Viele glauben es. Auf
den Feldern Mexikos wird Speisemais zunehmend
durch Industriemais ersetzt – für sparsame und
umweltfreundliche amerikanische Limousinen.
Dumm nur, dass Mais die Kartoffel der ärmeren
Mexikaner ist. Die können den neuen Mais nicht
essen und den alten nicht mehr bezahlen. Es folgt:
Was jemand mit nachhaltig bewertet, ist meist
eine Frage des Standpunkts. Wer „nachhaltig“ als
Schlagwort verwendet, kann andere damit blenden.
Wohl dem, der tiefer zu differenzieren weiß. Denn
nur das macht gesunde Distanz möglich.
Vor Kurzem haben wir noch geglaubt, die Kraft
des Atoms löse all unsere Energieprobleme. Und
heute? Nach Fukushima? Mit Gorleben? „Hinter-
her ist man immer klüger!“ Damit sagt uns der
Volksmund, dass wir die Folgen unseres Tuns nicht
immer absehen können und unsere Absichten
auch ihr Ziel verfehlen können. Natürlich gibt es
beim Scheitern Stimmen, die dann tönen: Hätte
ich Dir gleich sagen können. Meist sind das Men-
schen, die selbst wenig Verantwortung tragen. Es
gilt: Wer selbst viel verantwortet, hat mehr Respekt
vor dem Scheitern anderer.
Unser Blick auf das vermeintlich Nachhaltige
ändert sich also. Je nach Entwicklungsstufe. Ob
Mensch, Produkt oder Unternehmen. Nachhaltig-
keit ist eine Reise. Nachhaltigkeit heißt, die Wir-
kung seiner Handlungen möglichst weit und tief zu
durchdenken. Somit wird geistige Durchdringung
zum limitierenden Faktor. Ich kann also nur so weit
nachhaltig sein, wie ich denken kann. Eine wichtige
Erkenntnis, die uns eine große Pflicht
auferlegt: die Pflicht zur Verantwortung,
zu entschlossenem Handeln und dem
Lernen aus den Ergebnissen. Fragen Sie
sich doch einmal: Besitze ich die Freiheit,
nachhaltig zu denken? Bin ich nicht durch Rollen,
Erwartungen, Verbote oder aufgrund meiner Res-
sourcen eingeschränkt? Wenn etwa die Liquidität
fehlt, lässt der Überlebenskampf keinen Raum für
Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist ein Privileg des
Erfolgs. Je erfolgreicher ich bin, desto mehr kann
ich es mir leisten, nachhaltig zu sein. Das gilt pri-
vat wie beruflich. Es zeichnet große Menschen und
starke Führungspersönlichkeiten aus.
Paragraf 36
Nachhaltigkeit sollte
man sich leisten
Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden.
Grundl gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein neues Buch heißt: „Mach mich glücklich. Wie Sie das bekommen,
was jeder haben will“ (Econ Verlag 2014, 246 Seiten, 18 Euro). Boris Grundl beweist, wie leicht und schnell das Verschieben von Verantwortung in eine
zerstörerische Sackgasse führt und die persönliche Weiterentwicklung und damit Glück verhindert.
Wer selbst viel verantwortet, hat mehr
Respekt vor dem Scheitern anderer.
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