WOHNUNGSPOLITISCHE_INFORMATIONEN 46/2016 - page 6

AUS DEN VERBÄNDEN
In Thüringen bleiben die Mieten stabil – aber Stadt und Land driften
auseinander
Erfurt – Thüringens Wohnungswirtschaft mahnt eine realistische Einschätzung des Wohnungsmarktes an. „Wir können
selbst in den Städten Nachfragen aus allen Schichten bedienen“, betonte Constanze Victor, Direktorin des Verbandes
Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (vtw). „Zahlen der Mitgliedsunternehmen belegen, dass in Thüringen
flächendeckend ein weitestgehend entspannter Wohnungsmarkt herrscht“, so Constanze Victor. Der vtw vertritt dabei
rund die Hälfte des Thüringer Mietermarktes. Seine Wohnungsunternehmen stellen allein in Jena 53 Prozent und in
Weimar 46 Prozent des Mietwohnungsbestandes.
Eine Analyse der vtw-Gesamtmieten für
Thüringen zeigt: 75 Prozent aller Bestands-
mieter zahlen unter fünf Euro pro Quad-
ratmeter im Monat. Nur vier Prozent lie-
gen jenseits der sechs Euro. Diese Mieten
sind stabil, der Anstieg bleibt minimal. „Wir
konnten auch 2015 mit einem Plus an 1,5
Prozent gegenüber dem Vorjahr keine sig-
nifikante Steigerung der Durchschnittsmie-
ten verzeichnen. Seit dem Jahr 2000 bewe-
gen wir uns verlässlich zwischen 1,1 und
maximal 1,8 Prozent Anstieg“, erklärte die
Verbandsdirektorin.
Auch bei den Neuvermietungen bleibt Thü-
ringen auf einem niedrigen Mietniveau. 54
Prozent der Neumieter zahlen maximal fünf
Euro pro Quadratmeter im Monat, weitere
33 Prozent bis sechs Euro. Vor dem Hinter-
grund, dass jede dieser Wohnungen vor
dem Neubezug unter erheblichen Kosten
seitens der Wohnungsunternehmen her-
gerichtet wird, kratzt diese Miete hart an
der Kosten-Nutzen-Grenze der Unterneh-
men. Allerdings zeigen sich gerade in den
Städten deutliche Unterschiede. In Erfurt
reicht die Preisspanne von Neuvermietun-
gen im Neubau und Bestand von 4,60 Euro
bis 9,10 Euro pro Quadratmeter, in Jena
von 4,25 Euro bis 10,50 Euro pro Quad-
ratmeter. „Diese Zahlen belegen: Es gibt in
Thüringen Wohnungen für alle Nachfrage-
gruppen“, betonte Constanze Victor.
Anderslautende Zahlen von Immobilien-
portalen spiegeln dagegen oft nicht den
realen Markt wieder. Hier ist Vorsicht gebo-
ten. Portale zeigen nur Angebotsmieten.
Dazu kommt: Viele günstige Wohnun-
gen erscheinen dort gar nicht. „Um einen
Überblick über die tatsächlichen Mieten zu
erhalten, wäre ein Wohnungsmietenmoni-
toring durch die Kommunen sinnvoll“, so
Constanze Victor.
Nach wie vor sind die wahren Preistreiber
für hohe Mieten die Nebenkosten – allen
voran Energiepreise, Stromkosten und
Steuern. „Diese drastische Teuerung gilt
in ganz Deutschland und für alle Mieter“.
Stromkosten, die meistens direkt mit den
Anbietern abgerechnet werden und daher
kein Bestandteil der Mietbuchhaltung sind,
kletterten seit dem Jahr 2000 beispiels-
weise um 103 Prozent und trugen somit
weit mehr zur Überteuerung des Wohnens
bei, als die Nettokaltmieten.
Im Bereich der Mietbelastungsquote liegt
Thüringen mit 21,4 Prozent vom Einkom-
men unter dem deutschen Mittelwert von
22,5 Prozent und weit von den Grenzquo-
ten von 30 Prozent entfernt. Hinzu kommt:
„Gerade im Bereich der Einkommensent-
wicklung holen nicht nur die Städte Erfurt,
Weimar und Jena auf. Wohnen in Thürin-
gen ist absolut bezahlbar“, betont Cons-
tanze Victor.
Der genaue Blick auf die Leerstandsquote
der Boomtown Erfurt zeigt: bei einem Leer-
stand von 3,8 Prozent herrscht hier den-
noch eine Fluktuationsrate von 9,3 Prozent.
Diese Rate beweist: Es gibt erstens aus-
reichend Wohnraum zum Wechseln und
zweitens – niemand bleibt in seiner Woh-
nung aus Angst, keinen passenden neuen
Wohnraum zu finden. In Gera zeigt sich
dagegen eine ganz andere Situation: Ein
Leerstand von 14,6 Prozent und eine Fluk-
tuationsrate von 9,3 Prozent weisen darauf
hin, dass zu wenig Menschen hier wohnen
beziehungsweise umziehen wollen.
Gera ist nur die Spitze des Eisberges. In den
ländlichen Regionen rollt bereits die zweite
Leerstandswelle. Während der vtw in den
Städten wie Weimar, Jena, Erfurt weiter ein
leichtes Absinken von vier auf 3,7 Prozent
erkennt, verharrt der Leerstand außerhalb
der Städte auf hohem Niveau. Die Alters-
struktur dieser Regionen gibt ernste Hin-
weise darauf, dass es in den nächsten
Jahren hier zu einer dramatischen Ver-
schlechterung des Leerstandes kommt. So
verlieren der Kyffhäuserkreis, das Altenbur-
ger Land und Greiz bis 2035 mehr als 20
Prozent der Bevölkerung. „Stadt und Land
driften auseinander.
Künftig muss der Fokus der Wohnungs-
marktpolitik der Landesregierung stärker
auf die gemeinsame Entwicklung wach-
sender Städte UND schrumpfender Regio-
nen gelegt werden“, appellierte Constanze
Victor. Thüringens Wohnungswirtschaft
reagiert auf die Situation seit 1991 mit
zielgerichteten Investitionen in Stadt und
Land. Über sechs Milliarden Euro flossen
in die Modernisierung des Bestandes, 4,5
Milliarden in die Instandsetzung und knapp
eine Milliarde Euro in den Neubau. Dank
dieser Maßnahmen verfügt Thüringen über
ein umfangreiches Wohnungsangebot in
allen Preisklassen. Ohne zusätzlichen Rück-
halt seitens der Landesregierung aber wird
das Dilemma nicht gelöst werden. „Thürin-
gen muss seine ländlichen Räume stärken
– Infrastruktur, Schulen, ÖPNV und alters-
gerechte Wohnformen ausbauen. Nur so
können wir die zweite Leerstandswelle ein-
dämmen“, sagte Constanze Victor.
(fül/kön)
men versorgen bereits tausende Geflüch-
tete mit Wohnraum und tun viel dafür,
diese Menschen in die bestehenden Nach-
barschaften zu integrieren. Das kostet Zeit,
das kostet Geld. Beides ist verloren, wenn
sich die Neuankömmlinge bereits kurz nach
ihrer Ankunft auf den Weg in die großen
Städte machen. Diese tragen schon jetzt
den Großteil der Last. Wohnraum ist dort
Mangelware und die Entstehung neuer
sozialer Brennpunkte droht.“ Die schles-
wig-holsteinischen Mitgliedsunternehmen
stellen derzeit rund 1.600 Wohnungen zur
Verfügung. 3.600 Geflüchtete haben hier
außerhalb von Erstaufnahmeeinrichtun-
gen eine erste Unterkunft gefunden. Das
sind etwa zehn Prozent der Flüchtlinge,
die 2015 nach Schleswig-Holstein kamen.
„Das ist ein starkes Signal“, sagte
Raimund
Dankowski
, Vorsitzender des VNW Lan-
desverbandes Schleswig-Holstein. „Und
es ist nur ein Ausschnitt dessen, was die
VNW-Mitgliedsunternehmen leisten. Neben
dem Dach über dem Kopf bieten zahlreiche
Wohnungsunternehmen den neuen Mie-
tern Hilfen im Alltag an und vernetzen sie
im Quartier. Sie sorgen damit für wichtige
Schritte in Richtung Integration.“
(fri/kön)
Die Leitlinien zur Integrationspolitik
des Landes Schleswig-Holstein finden Sie hier:
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