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SPEZIAL
_DIGITAL HR
personalmagazin 05/18
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
rungsstrategie im Recruiting zentral. Es
geht darum, Prozesse psychologisch ad-
äquat und passend zur Unternehmens-
kultur aufzusetzen.
personalmagazin:
Wie sehen solche Prozes-
se aus?
Montel:
Man sieht in großen Unterneh-
men mit sehr vielen und wechselnden
Prozessbeteiligten schon mal Abläufe,
die mit ein paar Kniffen eine wesentlich
positivere Wirkung auf Bewerber entfal-
ten könnten. Ich kenne Unternehmen,
die geben Transparenz als zentraler
Bestandteil der Corporate Identity an,
Bewerber erhalten jedoch drei Monate
lang kein Feedback auf ihre Onlinebe-
werbung, abgesehen von der Eingangs-
bestätigung. Einen Monat nach einer
- sehr späten - standardisierten Absage
wird er dann per Mail um ein Feedback
zum Bewerbungsprozess gebeten. Es
ist recht wahrscheinlich, dass so Kan-
didaten langfristig verloren gehen, die
im schlimmsten Fall ihre Erfahrungen
weitererzählen. Die mühsam aufgebau-
te Arbeitgebermarke kann so enormen
Schaden nehmen, denn natürlich axch-
ten Bewerber darauf, ob ein Unterneh-
men die ausgerufenen Werte auch lebt.
personalmagazin:
Heißt das, die Unterneh-
menskultur bestimmt die Technik?
Montel:
Genau, es muss immer im Vor-
dergrund stehen, was das Unternehmen
will. Meiner Meinung nach liegt der zen-
trale Aspekt darin, ein solches Vorhaben
nicht als technische Herausforderung
zu denken, sondern als ganzheitliches
Gestaltungsprojekt. Operativ müssen
„Das Gespräch bleibt zentral“
INTERVIEW.
Vor umfassender Automatisierung beim Recruiting warnt ausgerechnet ein
Softwareanbieter. Er meint: Der Mensch wird immer die entscheidende Rolle spielen.
personalmagazin:
Deutschland wird in
puncto Digitalisierung seinem Anspruch
als führende Wirtschaftsnation noch
nicht gerecht. Dennoch plädieren Sie für
eine bedachte Gangart bei der Digitalisie-
rung von Recruitingprozessen – warum?
Christian Montel:
Ich erlebe regelmäßig,
dass Unternehmen sagen, sie wollen die
Digitalisierung jetzt auch in der Perso-
nalabteilung einführen. Die Entschei-
dung basiert meist auf dem einfachen
Beweggrund, dass man im allgemeinen
Fortschritt nicht zurückfallen und effi-
zienter arbeiten möchte. Geht es dann
aber an die Umsetzung, wird erst einmal
klar, wie komplex die Einführung einer
Digitalisierungsstrategie ist.
Da müssen sich, um nur ein Beispiel
zu nennen, die Unternehmensführung,
die Personalleitung, die Ausbilder und
die jeweiligen Abteilungsleiter mit zu be-
setzenden Stellen gemeinsam mit dem
Betriebsrat an einen Tisch setzen und
eine einheitliche Linie beschließen. Da-
bei treffen ganz unterschiedliche Ziele
und Vorstellungen aufeinander: Es geht
plötzlich nicht mehr nur um eine tech-
nische Lösung. Es geht um wirtschaft-
liche Ziele, um Arbeitsplatzsicherheit
und Unternehmenskultur. Es müssen
ganz individuell passende Entschei-
dungen darüber getroffen werden, wie
Abläufe in Zukunft gestaltet werden
sollen. Welcher Automatisierungsgrad
sinnvoll ist, hängt dabei stark von der
Unternehmensgröße und -kultur ab. Die
Digitalisierung von Recruitingprozessen
ist in vollem Gang, für die Automatisie-
rung ist es aber wichtig, die Prozessebe-
ne genau zu beleuchten.
personalmagazin:
Was bedeutet das in der
Praxis?
Montel:
Wenn Sie einen aussichtsrei-
chen Bewerber digital zum nächsten
Auswahlschritt einladen möchten, sich
dieser aber nicht meldet, wie gehen Sie
dann vor? Erinnern Sie den Kandidaten
einmal, zweimal oder dreimal? Wann
sagen Sie ab? Unmittelbar, nachdem das
System nach biografischen Daten vorse-
lektiert hat, oder erst drei Tage später,
um menschlicher zu wirken? Wie sagen
Sie ab? Verwenden Sie einen Standard-
kurztext oder nutzen Sie die Ergebnisse
eines Online-Assessments für ein poten-
zialgestütztes, ausführliches Feedback?
Die Konstruktion solcher Prozesse ist
für die Einführung einer Digitalisie-
DR. CHRISTIAN MONTEL
ist
Geschäftsführer der Eligo Psychologische
Personalsoftware GmbH.
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