Immobilienwirtschaft 12-1/2016 - page 69

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zu, ist wohl nicht aufgeräumt. Aber keine
Angst, außer Ihnen schaut niemand. Das
fällt Ihnen leicht, oder? Sie haben sich aber
nie bewusst dort hingestellt und gesagt:
„Mensch! Heute lerne ich einmal meine
Wohnung auswendig!“ Trotzdem können
Sie sich Ihre Wohnung ziemlich gut vor-
stellen. Nicht jedes Detail, aber eine ganz
gute Vorstellung besitzen Sie jedenfalls.
Zugegeben, unsereWohnungen sehen wir
entsprechend oft. Wo waren Sie zuletzt im
Restaurant? Sollte das in den letzten Tagen
der Fall gewesen sein, überlegen Sie, wie es
dort aussah. Auch das fällt Ihnen spielend
wieder ein. Unsere Erinnerungen sind vor
allem bildhaft abgespeichert!
Schon im Gehirn selbst zeigt sich das
sehr deutlich: Von allen Neuronen, die
Sinneseindrucke verarbeiten, sind rund 90
Prozent fur die Augen zuständig! So do-
minant ist folglich unser visuelles System.
Das bedeutet umgekehrt, Inhalte, die
fur uns schwierig zu merken sind, sind
meist sprachlicherNatur: Fakten, Informa-
tionen, Daten, Namen, Worte oder Listen.
Evolutionsbiologen gehen davon aus, dass
es seit ca. 2,5 Millionen Jahren Vorfahren
des Menschen gibt, die unserer Gattung
zugeordnet werden. Der „Homo sapiens“
existiert seit rund 200.000 Jahren. Doch
erst vor ca. 100.000 Jahren entwickelte
sich die erste Form menschlicher Sprache.
Geschriebene Sprache ist noch viel junger.
Noch 400 v. Chr. hat der bedeutende
Philosoph Sokrates die Schrift abgelehnt.
Er befürchtete, dass wir als Menschen
unser Gedächtnis allzu sehr schwächen,
wenn wir Gedanken und Inhalte auf-
schreiben. Was er wohl von Smartphone,
Internet und Wikipedia gehalten hätte?
Apropros Smartphone & Co. Sind die
nicht der Beweis dafür, dass wir heute kein
Gedächtnistraining mehr brauchen? Ich
sage: Im Gegenteil. Natürlich sollten wir
Hilfsmittel, die uns zur Verfügung stehen,
auch nutzen. Aber etwas schnell Nachge-
schlagenes weiß ich danach eben nicht
mehr und kann es dann weder in eine
Überlegung einbeziehen noch entstehen
daraus neue Ideen. Zudem gilt: Je weniger
das Gedächtnis gefordert wird, destomehr
lässt es nach. Auch in den Situationen, in
denenwir es dann doch brauchen, umuns
an Namen zu erinnern, frei vorzutragen,
im Gespräch zu überzeugen, Ideen aus
vorhandenem Wissen entstehen zu las-
sen oder uns in unserem Fachgebiet noch
zurechtzufinden.
Die Idee „in Bildern denken“ alleine
kann hier schon nutzen! Etwa, wenn Sie
sich für einen Namen ein Wort suchen,
das ähnlich klingt, und sich dieses an-
schließend bildhaft vorstellen. Wenn Sie
Frau Fischer etwa vor Ihrem innerenAuge
beimAngeln sehen, anstatt nur kurz darü-
ber wegzuhören, dass sie gerade „Fischer“
gesagt hat, werden Sie beim nächsten
Treffen den Namen gleich wissen. Die
Gefahr, die Architektin anschließend für
eine ambitionierte Anglerin zu halten, be-
steht übrigens nicht: Wir lernen immer im
Kontext, und wenn Ihnen das Bild wieder
einfällt, wissen Sie auch gleich, dass es den
Namen kodiert!
In den folgenden Ausgaben der „Im-
mobilienwirtschaft“ werde ich Ihnen
weitere Einblicke ins Gedächtnistraining
geben und praktische Tipps, wie Sie es
direkt, mit wenig Aufwand für sofortigen
Nutzen anwenden können. Versuchen Sie
doch einfach schon mal bis zum nächsten
Artikel, bei den Namen von neuen Kon-
takten zu überlegen, welcher Beruf oder
welches Wort in dem Namen steckt, und
stellen Sie es sich dann bildhaft vor. Viel
Spaß beim Ausprobieren!
Foto: privat
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Dr. Boris Konrad, Nijmegen
ZUR PERSON
Dr. Boris Nikolai Konrad
(31) ist Deutschlands Gedächtnisexperte. Der Gedächtnis-
trainer, Autor und Neurowissenschaftler hält den Weltrekord im Namenmerken und drei weitere Einträge im
Guinness-Buch der Rekorde. Am Donders Institut in Nijmegen erforscht er die neuronalen Grundlagen außerge-
wöhnlicher Gedächtnisleistungen und ist einem breiten Publikum durch seine zahlreichen Fernsehauftritte bekannt.
In seinem Buch „Superhirn – Gedächtnistraining mit einem Weltmeister“ und in seinen regelmäßigen Vorträgen
erklärt er Gedächtnistechniken, mit denen sich das Gedächtnis erheblich verbessern lässt.
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„Denken Sie in Bildern:
Wenn Sie Frau Fischer
vor Ihrem inneren Auge
beim Angeln sehen,
werden Sie beim nächs-
ten Treffen den Namen
gleich wissen.“
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