Immobilienwirtschaft 10/2015 - page 26

26
INVESTMENT & ENTWICKLUNG
I
WOHNUNGSBAU
Immobilienwirtschaft Heft 09/2015). Das
bedeutet zugleich, dass die angebotenen
Wohnungen viel stärker als bisher auf die
Anforderungen dieser Zielgruppe zuge-
schnitten sein müssen.
BARRIEREFREIHEIT IST NICHT ALLES
Dass
dabei Barrierefreiheit ein zentrales Kri-
terium sein muss, liegt auf der Hand.
Zahlreiche Wohnhäuser in Deutschland
verfügen bis heute über keinen Aufzug.
Teilweise ist es auch gar nicht oder nur
unter unverhältnismäßig großen Schwie-
rigkeiten möglich, Aufzüge nachträglich
zu installieren. Und selbst dort, wo ein
Aufzug vorhanden ist, bedeutet das kei-
neswegs, dass damit in jedem Fall eine
Barrierefreiheit gegeben wäre. Wo Auf-
züge nachgerüstet wurden, halten diese
häufig „auf halber Treppe“ – also auf den
Treppenpodesten zwischen den Etagen. In
diesen Fällen ist die Wohnung dann auch
trotz Aufzug nicht per Rollstuhl oder mit
dem Rollator zu erreichen.
Zahlen von ImmobilienScout24 zei-
gen, dass deutschlandweit nur etwa 1,6
Millionen von insgesamt etwa 21 Milli-
onen Wohnungen in Gebäuden mit drei
oder mehr Wohneinheiten über einen
altersgerechten Aufzug verfügen. Laut
Prognos-Studie gibt es in der Altersgrup-
pe der über 65-Jährigen in Deutschland
rund 3,7 Millionen Menschen, deren
Bewegungsfreiheit alters- und gesund-
heitsbedingt eingeschränkt ist. Allein für
diese Gruppe fehlen aktuell 2,1 Millionen
Wohnungen mit altersgerechtem Aufzug.
Hinzu kommt, dass nicht in jeder Woh-
nung mit altersgerechtem Aufzug auch
tatsächlich über 65-Jährige wohnen. Laut
einer vom Kuratorium Deutsche Alters-
hilfe durchgeführten Untersuchung zum
Thema „Wohnen im Alter“ leben nur 5,2
Prozent der Menschen, die älter als 65
Jahre sind, in altersgerechtenWohnungen.
Bei den Seniorenhaushalten mit pflege-
bedürftigem Mitglied sind es 7,7 Prozent.
Folglich ist der Bedarf an altersgerechten
Wohnungen noch sehr viel höher.
Neben der Barrierefreiheit gilt es eine
Reihe anderer Faktoren zu beachten, die
dafür ausschlaggebend sind, ob und in-
wiefern eine Wohnung den Anforderun-
gen des Wohnens im Alter genügt. Zum
einenmuss bedacht werden, dassWohnen
imAlter für vieleMenschen in erster Linie
eben nicht betreutes Wohnen oder Woh-
nen in einer Pflegeeinrichtung bedeutet.
Viel wichtiger ist es, dass die Wohnung
auch im höheren Lebensalter und bei
eventuellen gesundheitlichen Einschrän-
kungenmöglichst lange ein eigenständiges
Leben erlaubt und dass später bei Bedarf
zusätzliche Angebote – beispielsweise eine
Pflege zu Hause – problemlos integriert
werden können.
Um den Bewohnern möglichst lange
ihre Autonomie zu gewährleisten, muss
der Mikrostandort passen. Eine ruhige
Lage im Grünen mag ihre Vorteile ha-
ben, sie wird für ältere Menschen jedoch
schnell zum Problem. Das hat vor allem
infrastrukturelle Gründe, etwa wenn es an
einer guten Anbindung an das öffentliche
Nahverkehrsnetz fehlt oder wenn Ein-
kaufsmöglichkeiten, Ärzte und andere im
Alltag benötigte Dienstleister nicht oder
nur umständlich erreichbar sind.
MANGEL AN BEZAHLBAREN ANGEBOTEN
Für das Investment ist auch entschei-
dend, dass die Wohnungen bezahlbar
sind. Denn Angebote im Luxussegment
gibt es in ausreichender Zahl, doch die
Zahl der potenziellen Mieter oder Käufer
dafür ist begrenzt. Bezahlbare, barriere-
freie Wohnungen mit modernem Stan-
dard gibt es jedoch viel zu wenig. Einer
Studie von Empirica zufolge können rund
die Hälfte der Seniorenhaushalte, nämlich
4,86Millionen, eine Miete von 1.000 Euro
tragen. Eine Monatsmiete von 450 Euro
inklusive Nebenkosten können sich sogar
70 Prozent der deutschen Rentner leisten,
wenn sie 30 Prozent ihres Nettohaushalts-
einkommens für die Miete ausgeben wür-
den. Dabei sind Senioren auch bereit, bei
gleichem Mietbudget in kleinere, aber
dafür altersgerechte Wohnungen zu zie-
hen. Hier sind differenzierte Angebote
gefragt. Beispielsweise kann durch unter-
schiedliche Wohnflächen und Lagen ein
breites Preisspektrum abgedeckt werden.
Kleine, intelligente Grundrisse bieten die
Möglichkeit, auch preisgünstigere Woh-
nungen qualitativ hochwertig zu bauen.
Die Studie gibt auch Aufschluss darü-
ber, in welchen Landkreisen die meisten
finanzstarken Senioren wohnen. In Ber-
lin könnten sich fast 256.000 Senioren der
Altersgruppe 60 plus eine Miete von 500
Euro pro Monat bei einer Einkommens-
belastung vonmaximal 30 Prozent leisten.
Damit ist die Hauptstadt Spitzenreiter im
Ranking nach Landkreisen. Dicht dahin-
ter liegen Hamburg und München.
Die Zahlen zeigen, warum Institutio-
nelle gerade verstärkt auf Neubau setzen.
Denn demografiefeste Immobilien sind
im Bestand schwer zu realisieren. Barri-
erefreiheit ist im Neubau kostengünstiger
umsetzbar als bei Bestandsobjekten.
«
Dr. Michael Held, Berlin
Dr. Michael
Held,
ge-
schäftsführender
Gesellschafter
von Terragon,
Berlin
AUTOR
70
%
der deutschen Rentner können
sich eine Monatsmiete von 450
Euro inklusive Nebenkosten leis-
ten, wenn sie 30 Prozent ihres
Nettohaushaltseinkommens für
die Miete ausgeben würden.
1...,16,17,18,19,20,21,22,23,24,25 27,28,29,30,31,32,33,34,35,36,...116
Powered by FlippingBook