DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 1/2019 - page 73

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WEG §§ 14 Nr. 1, 21 Abs. 4 und Abs. 5 Nr. 2, 22 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2
Nachträgliche Anbringung von Verschattungsanlagen durch Wohnungseigentümer
1. Wohnungseigentümer sind verpflichtet, die nachträgliche Anbrin-
gung von Verschattungsanlagen durch andere Wohnungseigen-
tümer zu dulden, wenn den Eigentümern durch einen wirksamen
Wohnungseigentümerbeschluss gem. § 22 Abs. 1 WEG gestattet
worden ist, an ihren Türen und Fenstern fach- und sachgerech-
te Jalousien, Lamellen und feste Verschattungen zu installie-
ren. Dass über die konkrete Ausführung und Realisierung nach
Angebotsvorlage durch den Verwalter noch durch gesonderten
Beschluss entschieden werden sollte, wirkt sich nicht zugunsten
der duldungspflichtigen Wohnungseigentümer aus, wenn sie sich
ausschließlich gegen die Maßnahme als solche wenden, ohne die
konkrete Ausführung zu beanstanden.
2. Liegt ein wirksamer Wohnungseigentümerbeschluss nicht vor,
besteht ein Anspruch der betreffenden Wohnungseigentümer, die
nachträgliche Anbringung von Verschattungsanlagen zu dulden,
wenn die Maßnahme der erstmaligen plangerechten Herrichtung
des Gemeinschaftseigentums dient. Unter Instandsetzung ist
nämlich auch die erstmalige Herstellung des Gemeinschaftsei-
gentums zu verstehen, sodass jeder Wohnungseigentümer nach
§ 21 Abs. 4 i. V. m. Abs. 5 Nr. 2 WEG von den übrigen Mitgliedern
der Wohnungseigentümergemeinschaft verlangen kann, dass das
Gemeinschaftseigentum plangerecht hergestellt wird.
3. Da zur erstmaligen Herstellung des Gemeinschaftseigentums
auch die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Anforderungen an das
gemeinschaftliche Eigentum gehört, ist die öffentlich-rechtliche
Erforderlichkeit der Anbringung der Verschattungsanlagen zu
prüfen.
4. Fehlt es an der bauordnungsrechtlichen Erforderlichkeit, wäre
ein Beseitigungsverlangen rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB),
wenn es auf eine Leistung zielt, die alsbald zurückzugewäh-
ren wäre, weil der Wohnungseigentümer Anspruch auf einen
Gestattungsbeschluss nach § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG zur Vornahme
der Maßnahme hat, etwa weil die von der Maßnahme nachteilig
betroffenen Eigentümer zugestimmt haben oder es an einer
Beeinträchtigung, die über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß
hinausgeht, fehlt.
5. Ist die Anbringung der Jalousien als Modernisierung im Sinne des
§ 22 Abs. 2 WEG zu qualifizieren und gelingt es den betreffenden
Wohnungseigentümern, eine Genehmigung der Wohnungseigen-
tümer durch einen Beschluss mit der für eine Modernisierung
erforderlichen Mehrheit herbeizuführen, stünde dies einem
Beseitigungsverlangen nicht entgegen, wenn die betroffenen
Wohnungseigentümer durch die Maßnahme i. S. d. § 22 Abs. 2 WEG
unbillig beeinträchtigt würden. Hierbei ist zu beachten, dass unbil-
lig nur solche Nachteile sein können, die über einen Nachteil i. S. d.
§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 14 Nr. 1 WEG hinausgehen und bei wertender
Betrachtung und in Abwägung mit den mit der Modernisierung
verfolgten Vorteilen einem verständigen Wohnungseigentümer
zumutbarerweise nicht abverlangt werden dürfen.
BGH, Urteil vom 20.7.2018, V ZR 56/17
Bedeutung für die Praxis
Die Anbringung von Außenjalousien ist i. d. R. eine bauliche Veränderung
des gemeinschaftlichen Eigentums i. S. d. § 22 Abs. 1 WEG. Dann sollte
der bauwillige Wohnungseigentümer sich durch förmlichen Beschluss
(vgl. LG Hamburg ZMR 2018, 433 und ZMR 2013, 373) die Genehmigung
geben lassen; nach anderer Ansicht reicht auch die Zustimmung der nach-
teilig Betroffenen (Staudinger/Lehmann-Richter § 22 WEG Rn. 27, 28 und
Häublein NZM 2007, 753, 754).
Wenn nach der Teilungserklärung die Anbringung allerdings vorgesehen
ist, handelt es sich um eine grundsätzlich zulässige Maßnahme zur erst-
maligen Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums.
Ist die Maßnahme vom öffentlichen Recht gefordert, so besteht ein
Duldungsanspruch der übrigen Eigentümer. Vorsicht ist dann aber bei der
Wahl der Ausführung/Farbe geboten.
RiAG Dr. Olaf Riecke, Hamburg
WEG §§ 14 Nr. 2, 15; BGB § 1004
Zweckbestimmungswidrige Nutzung des „Ladens“ als Eiscafé
Sieht die Teilungserklärung eine Nutzung einer Teileigentumseinheit als Laden vor, kann in dieser kein Eiscafé betrieben werden, in dem
auch Speisen und Getränke verkauft werden und eine Bestuhlung vorhanden ist. Ein Anspruch auf Unterlassung einer vereinbarungswidrigen
Nutzung besteht auch gegen den Mieter, selbst wenn der Mietvertrag eine derartige Nutzung gestattet.
LG Frankfurt/M, Urteil vom 27.9.2018, 2-13 S 138/17
Bedeutung für die Praxis
Die Bezeichnung „Laden“ in der Teilungserklärung ist eine verbindliche
Zweckbestimmung. Von der zweckwidrigen Nutzung einer solchen Einheit
als Gastronomie gehen typischerweise größere Störungen aus als von einem
Laden, der abends ab 20 bzw. 22 Uhr geschlossen ist. Selbst wenn der
Gastronom einen „Silencer“ einzustellen bereit ist, müssen die sich vom
Lärm gestört fühlenden Wohnungseigentümer dies nicht annehmen (vgl. LG
München I, ZMR 2018, 443). Der Mieter hat gegenüber den Eigentümern
nicht mehr Rechte als der vermietende Eigentümer selbst. Letzterer muss
alles in seiner Macht Stehende unternehmen, damit sein Mieter einem
berechtigten Unterlassungsbegehren der anderen Eigentümer Folge leistet.
RiAG Dr. Olaf Riecke, Hamburg
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