DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 12/2017 - page 81

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WEG §§ 21, 23, 27 Abs. 1 Nr. 1, 43 Nr. 4
Unzulässige Delegation wesentlicher
Entscheidungen auf den Beirat und die
Verwaltung; Bestimmtheitsgrundsatz
Beschlüsse sind, solange sie nicht rechtskräftig durch ein Gericht
oder bestandskräftig durch einen Zweitbeschluss aufgehoben
worden sind, auszuführen. Insoweit ist es nicht relevant, dass der
Beschluss ggf. sogar nichtig ist.
Hinsichtlich der Ausführungspflicht ändert die Nichtigkeit eines
Beschlusses (hier: wegen unzulässiger Delegation oder fehlender
Bestimmtheit) nichts, weil das Gesetz in diesem Zusammenhang
keine Differenzierung zwischen einer bloßen Anfechtbarkeit und
Nichtigkeit vornimmt und die Rechtsfolgen (Unwirksamkeit ex tunc)
identisch sind.
LG Dortmund, Beschluss vom 24.4.2017, 1 S 53/17
Bedeutung für die Praxis
Wenn ein Beschluss den unbestimmten Begriff „im Bedarfsfall“ enthält,
so ist er bereits deshalb nicht hinreichend bestimmt, weil unklar bleibt,
wann ein „Bedarfsfall“ eintritt. Dies muss im Beschlusstext selbst näher
geregelt sein. Allein der Entscheidungskompetenz des Beirates und/oder
des Verwalters darf diese Entscheidung nicht überlassen werden. Bei
nicht unerheblicher Reichweite einer solchen Entscheidung ist allein eine
Entscheidungskompetenz der Wohnungseigentümer gegeben.
Erkennbar nichtige Beschlüsse darf der Verwalter aber entgegen LG Dort-
mund trotzdem nicht ausführen.
Dr. Olaf Riecke, Hamburg
WEG §§ 14, 22 Abs. 1; BGB §§ 195 ff.
Verjährungsfrist des Anspruchs auf
Beseitigung einer baulichen Veränderung
Berechnet man die Verjährungsfrist des Anspruchs auf Beseitigung
einer baulichen Veränderung, darf dabei die Zeit nicht einberechnet
werden, während der die bauliche Veränderung durch einen später
für ungültig erklärten Beschluss der Wohnungseigentümer geneh-
migt war.
LG Frankfurt/M., Urteil vom 28.6.2017, 2-13 S 191-14
Bedeutung für die Praxis
Wenn Beschlusswirkungen nachträglich mit Rückwirkung wegfallen,
betrifft dies auch die Verjährungsproblematik.
Ein nicht nichtiger, allerdings erfolgreich anfechtbarer Beschluss bindet
sämtliche an- und abwesenden Wohnungseigentümer (Hügel/Elzer, WEG,
2. Auflage 2018, § 23 Rn. 100). Ist der Beschluss Grundlage einer Klage
und ist er daneben im Wege der Anfechtungsklage angegriffen, ändert
sich an dieser Bindung nichts.
Eine Klage gegen eine bauliche Veränderung, die die Wohnungseigentü-
mer durch einen Beschluss nach § 22 Abs. 1 WEG genehmigt haben – bei
angefochtenem Genehmigungsbeschluss – muss als „zurzeit unbegrün-
det“ abgewiesen werden (BeckOK ZPO/Elzer, 25. Ed. 15.6.2017, ZPO
§ 313 Rn. 48; a.A. wohl LG Hamburg, Urteil vom 29.06.2016, 318 S
102/15).
Die Verjährung des Beseitigungsanspruchs läuft zwar mit Kenntnis von
der baulichen Veränderung an, wird durch den Genehmigungsbeschluss
aber gehemmt (§ 203 BGB).
Dr. Olaf Riecke, Hamburg
WEG-RECHT
BGH, Urteil vom 22.8.2017, VIII ZR 226/16
Bedeutung für die Praxis
Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass in einem Mehrfamilienhaus
gelegentlich auftretende Lärmbeeinträchtigungen grundsätzlich als sozial
adäquat hinzunehmen sind und für die betroffenen Mitmieter deshalb
noch nicht ohne Weiteres einen Mangel der Mietsache begründen. Dazu
zählt auch üblicher Kinderlärm, den das Immissionsschutzrecht des Bun-
des und der Länder (z.B. § 22 Abs. 1a BImSchG, § 6 Abs. 1 LImSchG Bln)
für seinen Bereich als grundsätzlich sozial adäquat und damit zumutbar
behandelt.
Vor diesem Hintergrund geht die ganz überwiegende Instanzrechtspre-
chung deshalb für Fallgestaltungen, die mit dem Streitfall vergleichbar
sind, zutreffend davon aus, dass zwar auf der einen Seite Geräuschemis-
sionen, die ihren Ursprung in einem altersgerecht üblichen kindlichen
Verhalten haben, gegebenenfalls auch unter Inkaufnahme erhöhter
Grenzwerte für Lärm und entsprechender Begleiterscheinungen kindli-
chen Verhaltens, grundsätzlich hinzunehmen sind, auf der anderen Seite
jedoch die insoweit zu fordernde erhöhte Toleranz auch Grenzen hat.
Diese sind hierbei jeweils im Einzelfall zu bestimmen unter Berücksich-
tigung namentlich von Art, Qualität, Dauer und Zeit der verursachten
Geräuschemissionen, des Alters und des Gesundheitszustands des Kindes
sowie der Vermeidbarkeit der Emissionen etwa durch objektiv gebotene
erzieherische Einwirkungen oder durch zumutbare oder sogar gebotene
bauliche Maßnahmen.
Einer Vorlage von Lärmprotokollen zur Darstellung der Lärmbeeinträchti-
gungen bedarf es nicht, weil die Immissionsbelastung, der die Mieter sich
in ihrer Wohnung seit Jahren ausgesetzt sehen, in ihrem dargestellten
Klagevorbringen nach Art, Intensität, Dauer und Häufigkeit in einer den
Kern ihres Angriffs kennzeichnenden Weise mit ausreichender Substanz
beschrieben war. Der Anspruch der Mieter auf Gewährung rechtlichen Ge-
hörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ist dadurch verletzt, dass diejenigen Störungs-
zeiträume als unsubstantiiert dargestellt außer Betracht gelassen wurden,
hinsichtlich derer kein Lärmprotokoll vorgelegt war. Ein solches Vorgehen
findet im Prozessrecht keine Stütze. Es genügt vielmehr grundsätzlich
eine Beschreibung, aus der sich ergibt, um welche Art von Beeinträchti-
gungen es geht und zu welchen Tageszeiten, über welche Zeitdauer und in
welcher Frequenz diese ungefähr auftreten.
RA Heiko Ormanschick, Hamburg
1...,71,72,73,74,75,76,77,78,79,80 82,83,84
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