DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 2/2017 - page 72

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2|2017
RECHT
BGB § 541; EnEV §§ 10 Abs. 5, 24 und 25
Zustimmungsvorbehalt des Mieters
Zur Duldungsverpflichtung des Mieters bei energetischer Nachrüst-
pflicht des Vermieters gemäß EnEV.
LG Berlin, Urteil vom 8.12.2016, 67 S 276/16
Bedeutung für die Praxis
Selbst wenn sich für die Klägerin entsprechende Pflichten aus der in
erheblichem zeitlichen Nachgang zum Vertragsschluss in Kraft getretenen
EnEV ergäben, könnten für die Beklagten wegen des in § 6 des Mietvertra-
ges vereinbarten umfassenden Zustimmungsvorbehalts Duldungspflich-
ten allenfalls im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung erwachsen.
Bei der Vornahme der ergänzenden Vertragsauslegung gilt allerdings
der Grundsatz der nach beiden Seiten hin interessengerechten Ausle-
gung. Gemessen daran wäre eine über die einvernehmlich getroffene
Regelung hinausgehende Duldungspflicht für die beklagten Mieter im
Wege der ergänzenden Vertragsauslegung allenfalls dann gerechtfertigt,
wenn der Klägerin durch die vom Gesetz- und Verordnungsgeber nach
Vertragsschluss begründeten - und für die Vertragsparteien im Moment
des Vertragsschlusses im Jahre 1986 noch nicht absehbaren - Nachrüst-
pflichten aus der EnEV Nachteile solchen Ausmaßes erwachsen würden,
die die lückenlose Erstreckung des vertraglich vereinbarten Zustim-
mungsvorbehalts auch auf solche Maßnahmen als unredlich erscheinen
ließe, die auf Vorgaben der EnEV zurückzuführen sind. Nachteile diesen
Ausmaßes jedoch entstehen der Klägerin noch nicht aus der bloßen Ord-
nungswidrigkeit der energetischen Ausstattung und Beschaffenheit der
in ihrem Eigentum stehenden Mietsache, sondern frühestens dann, wenn
sie gegenüber der zuständigen Behörde erfolglos von den Ausnahme- und
Befreiungstatbeständen der §§ 10 Abs. 5, 24 und 25 EnEV Gebrauch
gemacht und es ihr gegenüber bereits zu ordnungsrechtlichen Maßnah-
men gekommen oder zumindest die konkrete Gefahr eines behördlichen
Tätigwerdens zu besorgen ist.
RA Heiko Ormanschick, Hamburg
BGB §§ 546 Abs. 1, 573 Abs. 2 Nr. 2
Eigenbedarfskündigung; Pflicht zur Anbietung von Alternativwohnraum
Die Anbietpflicht entfällt, wenn der Mieter den Alternativwohn-
raum ohnehin nicht angemietet hätte.
LG Berlin, Urteil vom 1.12.2016, 67 S 323/16
Bedeutung für die Praxis
Eine Anbietpflicht besteht nicht, wenn eine Vergleichbarkeit der Woh-
nung mit der gekündigten Wohnung von vornherein ausscheidet bzw.
der Mieter die Wohnung ohnehin nicht angemietet hätte. Das Berufen
des Mieters auf eine Verletzung der Anbietpflicht würde sich in einem
solchen Fall seinerseits als treuwidrig erweisen. Denn die Rechtsaus-
übung ist rechtsmissbräuchlich, wenn sie beachtliche Interessen eines
anderen verletzt, ihr aber kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrun-
de liegt. So aber läge der Fall hier, wenn den Klägern die Nutzung der
streitgegenständlichen Wohnung zur Deckung ihres – zudem unstreitigen
– Eigenbedarfs dauerhaft verwehrt wäre, nur weil sie dem Beklagten eine
Wohnung nicht angeboten hätten, die dieser ohnehin nicht angemietet
hätte. Welche Partei die Darlegungs- und Beweislast für den Anmietwil-
len des Mieters trifft, kann dahinstehen. Denn es steht bereits prima facie
fest, dass der Beklagte die Erdgeschosswohnung im Seitenflügel auch im
Falle ihrer pflichtgemäßen Anbietung nicht angemietet hätte, nachdem
er die im Kündigungsschreiben angebotene weitere Alternativwohnung
im Vorderhaus nicht angemietet und sich auch zur Anmietung der im Ver-
laufe des zweiten Rechtszugs angebotenen - und weiter frei stehenden
- Erdgeschosswohnung im Seitenflügel selbst zu dem von den Klägern in
Aussicht gestellten Mietzins nicht in der Lage gesehen hat.
RA Heiko Ormanschick, Hamburg
BGB §§ 536, 536 b
Minderung der Miete
Zur Minderung der Miete bei verzögerter Eröffnung eines neu zu
errichtenden Einkaufszentrums.
KG, Urteil vom 21.11.2016, 8 U 121/15
Bedeutung für die Praxis
Vertraglich geschuldete „Sollbeschaffenheit” der Mietsache ist ihre Taug-
lichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch, wozu insbesondere ihre Eignung
zu dem vertraglich vereinbarten Verwendungszweck gehört. Ausgangs-
punkt bei der Prüfung der Frage des Mangels muss in jedem Fall sein,
worin nach den Abreden der Parteien der vertragsgemäße Gebrauch des
Mieters besteht. Dieser kann sich z.B. im Bereich der Geschäftsraummiete
auf den vorgesehenen Geschäftsbetrieb konzentrieren, so dass die Miet-
sache von ihrer Substanz und ihrem Ausstattungsgrad her bestimmten
Anforderungen des Mieters entsprechen muss. Dabei ist ein Mangel der
Mietsache im Sinne von § 536 Abs. 1 BGB jede nachteilige Abweichung
des tatsächlichen Zustands von dem vertraglich vereinbarten Zustand, der
ihre Gebrauchstauglichkeit beeinträchtigt oder aufhebt. Der vereinbarte
vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache besteht darin, dass die Klägerin
auf der angemieteten Fläche des Einkaufszentrums eine Kunstgalerie
betreiben kann. Dies setzt voraus, dass das Einkaufszentrum für den Pub-
likumsverkehr eröffnet ist und freier Zugang zu den Mieträumen besteht.
Befindet sich das Ladengeschäft – wie hier – in einem Einkaufszentrum,
schuldet der Vermieter die Eröffnung des Geschäftszentrums und die
allgemeine Zugänglichkeit des Ladengeschäfts über die Ladenpassage
während der vertraglich vorgesehenen Öffnungszeiten. Sie ist Voraus-
setzung für eine vertragsgemäße Nutzung. Bereits aus dem dargestellten
Vertragszweck als Galerie zum Ausstellen und Vertreiben von Kunstwer-
ken ergibt sich – ohne dass es einer ausdrücklichen Regelung bedürfte –,
dass die vertragsgemäße Gebrauchstauglichkeit der Mieträume nur dann
vorliegt, wenn das Einkaufszentrum eröffnet ist.
RA Heiko Ormanschick, Hamburg
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