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RECHT
BGB §§ 569, 573 Abs. 2 Nr. 1
Nachträgliche Schonfristzahlung und ordentliche Kündigung
1. Hält der Vermieter an einer zum Zeitpunkt ihres Zugangs wirksa-
men ordentlichen Zahlungsverzugskündigung und einem darauf
gestützten Räumungsanspruch fest, verstößt er in keinem Fall
gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB).
2. Ein Zahlungsverzug des Mieters, der sogar den Ausspruch einer
außerordentlichen fristlosen Kündigung erlaubt, zieht nicht
zwingend die Wirksamkeit einer darauf gestützten ordentlichen
Kündigung nach sich. Auch im Falle der Überschreitung der
Grenzen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB sind bei der im Rahmen
des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB vorzunehmenden Erheblichkeitsprü-
fung sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und
gegeneinander abzuwägen.
LG Berlin, Urteil vom 16.6.2016, 67 S 125/16
Bedeutung für die Praxis
Es entspricht einer verbreiteten – und vom BGH gebilligten – Auffassung,
dass dem Vermieter die Durchsetzung eines auf eine wirksame ordentliche
Zahlungsverzugskündigung gestützten Räumungsanspruchs mit Rücksicht
auf den Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt sein kann (z. B. wenn
sich der Mieter umgehend nach Kündigungszugang erfolgreich um den
Ausgleich der Kündigungsrückstände und die Wiederaufnahme der laufen-
den Zahlungen bemüht).
Für eine solche Missbilligung der Rechtsausübung ist jedoch ausnahmslos
kein Raum in den Fällen, in denen der Vermieter eine nicht unerhebliche,
schuldhafte (Zahlungs-)Pflichtverletzung des Mieters zum Kündigungs-
anlass nimmt. Denn es ist der Mieter, der dem Vermieter durch sein
(Zahlungs-)Verhalten hinreichende Veranlassung zum Ausspruch der Kün-
digung und zur Durchsetzung des darauf gestützten Räumungsanspruchs
gegeben hat, so dass ein rechtlich-sittlicher Vorwurf allenfalls ihm ge-
genüber, keinesfalls aber gegenüber dem Vermieter gerechtfertigt ist. Der
Verzug mit laufenden Zahlungen in einer Höhe, die sogar den Ausspruch
einer außerordentlichen fristlosen Kündigung nach § 543 Abs. 1, Abs. 2
Satz 1 Nr. 3 BGB erlaubt, zieht aber nicht zwingend die Wirksamkeit einer
darauf gestützten ordentlichen Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB
nach sich (a. A. Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 12. Aufl. 2015,
§ 573 Rz. 25). Abzustellen ist auf sämtliche für die allgemeine kündi-
gungsrechtliche Beurteilung des rechtswidrigen schuldhaften Verhaltens
eines Vertragspartners heranzuziehenden Umstände. Zu berücksichtigen
sind deshalb bei einem wegen Zahlungsverzugs gekündigten Mieter – wie
bei allen sonstigen verhaltensbedingten Pflichtverletzungen (des Mieters)
auch – stets die beanstandungsfreie Dauer des bisherigen Vertragsver-
hältnisses, das Gewicht und die nachteiligen Auswirkungen der Vertrags-
pflichtverletzung, eine mögliche Wiederholungsgefahr und der dem
Mieter zur Last zu legende Grad des Verschuldens.
Zu Gunsten des Mieters können dessen besondere persönlichen Umstän-
de oder ein pflichtwidriges (Vor-)Verhalten des Vermieters zusätzliche
Berücksichtigung finden. Denn es ist nicht der Mieter, der bei der im
Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB vorzunehmenden Erheblichkeits-
prüfung das Bestehen entlastender oder das Nichtbestehen belastender
Umstände zu beweisen hat; ihn trifft lediglich eine sekundäre Darle-
gungslast.
RA Heiko Ormanschick, Hamburg
ZPO §§ 940, 940a
Einstweilige Verfügung auf Räumung einer Gewerbeimmobilie
1. § 940a Abs. 2 ZPO ist auf Gewerberaummietverhältnisse nicht
analog anzuwenden, wohl aber sind seine Wertungen im Rahmen
des § 940 ZPO zu berücksichtigen.
2. Der Vermieter von Gewerberäumen kann einen Dritten regel-
mäßig im Wege der einstweiligen Verfügung auf Räumung in
Anspruch nehmen, wenn der Tatbestand des § 940a Abs. 2 ZPO
erfüllt ist.
LG Krefeld, Beschluss vom 8.3.2016, 2 S 60/15
Bedeutung für die Praxis
Eine analoge Anwendung von § 940a Abs. 2 ZPO auf Gewerberaummiet-
verhältnisse hat das Amtsgericht verneint. Es fehlt an einer planwidrigen
Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat die Regelung ausdrücklich auf
Wohnraummietverhältnisse beschränkt und Anregungen im Gesetzge-
bungsverfahren, sie auch auf Gewerberaummietverhältnisse zu erstrecken,
ungehört gelassen. Wenn der Gesetzgeber es bei einemWohnraummiet-
verhältnis zulässt, dass der Mieter bei Vorliegen der entsprechenden
Voraussetzungen seine grundrechtlich geschützte Wohnung imWege der
einstweiligen Verfügung verlieren kann, muss dies erst recht bei einem Ge-
werbeobjekt möglich sein, das zwar auch einer grundrechtlich geschützten
Tätigkeit (der Berufsausübung) dient, aber nicht den höchstpersönlichen
Bereich der Lebensführung trifft und nicht Rückzugsraum für den Mieter
und seine Angehörigen ist. Das bedeutet nicht eine analoge Anwendung
des § 940a Abs. 2 ZPO, sondern die Übernahme von dessen gesetzlicher
Wertung in den weitgehend offenen Tatbestand des § 940 ZPO. Durch §
940a Abs. 2 ZPO hat der Gesetzgeber hinreichend deutlich gemacht, dass
der Besitz eines Dritten für den Vermieter derart nachteilig und eine auf
Räumung gerichtete Prozessführung des Vermieters in der Hauptsache so
erfolgversprechend ist, dass eine endgültige Befriedigung imWege der
Leistungsverfügung ausnahmsweise auch im einstweiligen Rechtsschutz
erlaubt ist. Deshalb kann auch bei Gewerberaummietverhältnissen die
Erfüllung der Voraussetzungen des § 940a Abs. 2 ZPO (außer, dass es sich
um ein Wohnraummietverhältnis handelt) als typisierte Bedingung für
die Annahme eines Verfügungsgrundes gesehen werden; es liegt dann ein
wesentlicher Nachteil im Sinne von § 940 ZPO vor.
RA Heiko Ormanschick, Hamburg