Wohnungspolitische Informationen 23/2018 - page 4

STUDIE
Realeinkommen sind in Deutschland zwischen 1991 und 2015 gestiegen,
niedrige Einkommensklassen haben davon aber nicht profitiert
Berlin – Die realen verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte sind in Deutschland im Zeitraum von 1991 bis 2015
um 15 Prozent gestiegen. Die meisten Einkommensgruppen haben davon profitiert, die untersten aber nicht. Das ist das
zentrale Ergebnis einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) auf Basis der letzten verfüg­
baren Daten der Längsschnittstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP).
Unterteilt man die Bevölkerung
in 10 gleich große Gruppen nach
Höhe des Einkommens, soge-
nannte Dezile, so haben die acht
oberen Dezile Einkommenszu-
wächse erfahren – zwischen
fünf Prozent für das dritte und
30 Prozent für das oberste Dezil,
also die einkommensstärksten
10 Prozent. Bei den 10 Prozent
der Personen mit den niedrigs-
ten Einkommen, die monatlich im
Durchschnitt real über rund 640
Euro verfügen, waren die Ein-
kommen im Vergleich zum Jahr
1991 rückläufig; im zweiten Dezil
haben sie stagniert. „Das heißt
nicht zwangsläufig, dass die Menschen,
die in den 1990er Jahren niedrige Einkom-
men erzielten, heute individuell schlechter
gestellt sind, denn sie können sich mittler-
weile in einer anderen Einkommensgruppe
befinden,“ erklärte Studienautor Markus
Grabka. „Aber es zeigt, dass bei weitem
nicht alle von der positiven Einkommens-
entwicklung, die in den letzten Jahren im
Wesentlichen dank der boomenden Wirt-
schaft und dem Rückgang der Arbeitslosig-
keit stattgefunden hat, profitiert haben.“
Dafür gibt es mehrere Gründe, unter
anderem die Ausweitung des Niedrig-
lohnsektors und der wachsende Bevölke-
rungsanteil älterer Menschen, deren Alter-
seinkommen im Schnitt geringer als deren
Erwerbseinkommen sind. Eine weitere Rolle
spielt auch die Zuwanderung. „Die Zuwan-
derung hat seit dem Jahr 2007 zugenom-
men, das heißt, dass viele Menschen noch
relativ neu im Land sind. Diese neuen Mit-
bürgerinnen und Mitbürger haben aber in
der ersten Zeit nach ihrer Ankunft in der
Regel niedrige Einkommen“, erläuterte Jan
Goebel, der andere Autor der Studie. „Das
zeigt sich auch daran, dass der Anteil der
Personen mit direktem Migrationshinter-
grund, die also selbst nach Deutschland
zugewandert sind, an den niedrigen Ein-
kommensgruppen zunimmt – mittlerweile
liegt er in den zwei untersten Dezilen bei
etwa einem Viertel.“
Die Daten des SOEP zeigen jedoch auch,
dass sich die Einkommensposition der Mig-
ranten verbessert, je länger sie sich im Land
aufhalten. Im Vergleich zu früheren Mig-
rationswellen sind die seit dem Jahr 2000
gekommenen neuen Mitbürgerinnen und
Mitbürger zudem qualifizierter beziehungs-
weise sie haben ein höheres Bildungsni-
veau, was ihren Arbeitsmarkterfolg und
damit die Angleichung ihrer Einkommen
beschleunigen dürfte.
Im Jahr 2015 lag auf Basis von SOEP-
Daten die Armutsrisikoschwelle, definiert
als 60 Prozent des mittleren Einkommens
(Median), bei einem verfügbaren Net-
tohaushaltseinkommen von 1.090 Euro
für einen Einpersonenhaushalt und die
Armutsrisikoquote, also der Anteil der
Bevölkerung, deren Einkommen unter die-
ser Schwelle liegt, bei 16,8 Prozent. In den
1990er Jahren betrug diese Quote noch
elf Prozent, im Jahr 2014 knapp 16 Pro-
zent. Ein relevanter Teil des Anstiegs, den
die Armutsrisikoquote vor allem seit dem
Jahr 2010 verzeichnete, ist auch hier auf
die Zuwanderung zurückzuführen. Perso-
nen mit direktem Migrationshintergrund
hatten im Jahr 2015 eine Armutsrisiko-
quote von 29 Prozent, Personen mit indi-
rektem Migrationshintergrund – von denen
mindestens ein Elternteil zugewandert ist
– von 25 Prozent. In diesen Zahlen sind die
Menschen, die erst im Jahr 2015 und spä-
ter nach Deutschland zugewandert sind,
noch nicht enthalten.
„Eine wesentliche Aufgabe für die Gesell-
schaft als Ganzes und insbesondere für die
Politik ist es, die neu zugezogenen Migran-
tinnen und Migranten schnell und zielge-
nau zu unterstützen, damit ihre Integra-
tion rasch erfolgt und sie schnell höhere
Einkommen erzielen können“, schlussfol-
gerte Jan Goebel. Von den Personen ohne
Migrationshintergrund waren im Jahr 2015
weitaus weniger, nämlich 13 Prozent, von
Armut gefährdet, im Vergleich zu 12 Pro-
zent im Jahr 2005 und rund 10 Prozent
Mitte der 1990er Jahre. „Angesichts der
stark rückläufigen Zahl von Arbeitslo-
sen hätte man auch einen Rückgang der
Armutsrisikoquote erwarten können“, gab
Markus Grabka zu bedenken.
Goebel und Grabka haben auch unter-
sucht, wie sich die Armutsrisikoquote von
Mietern einerseits und Eigentümern ande-
rerseits entwickelt hat. Letztere, deren
Anteil in der Bevölkerung zugenommen
hat, haben eine niedrige und über die
Zeit stabile Armutsrisikoquote von etwa
vier Prozent. Bei Ersteren dagegen ist die
Quote von 16 Prozent im Jahr 1991 auf
29 Prozent im Jahr 2015 beinahe kontinu-
ierlich gestiegen. Der Armutsrisikoquote
liegen Einkommen zugrunde, Mietzahlun-
gen spielen dabei also keine Rolle. Aber
die Ergebnisse legen nahe, dass es für viele
Haushalte vor dem Hintergrund mancher-
orts rasant steigender Mieten zunehmend
schwierig sein dürfte, ihre Wohnkosten zu
bestreiten.
„Auf der einen Seite gibt es immer mehr
Haushalte, die es sich leisten können, in
eine eigene Immobilie zu ziehen oder die
eine erben, auf der anderen Seite wird ein
zunehmender Teil der Haushalte mit gerin-
gen Einkommen mit stark steigenden Mie-
ten konfrontiert“, fasste Markus Grabka
zusammen. „Gleichzeitig sind gerade ein-
kommensschwache Mieterinnen und Mie-
ter zunehmend mit dem Problem konfron-
tiert, bezahlbaren Wohnraum zu finden.
Hier ist die Politik dringend gefordert, die
Bereitstellung von bezahlbaren Wohnun-
gen zu fördern.“
(bog/koch)
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