personalmagazin 5/2016 - page 3

es ist 22 Uhr. Ich sitze im Homeoffice und fange an, dieses Editorial zu
schreiben. Eigentlich dürfte ich mich nicht mehr an den Schreibtisch
setzen, da ich morgen um acht Uhr im Büro eine Besprechung habe.
Die vom Arbeitszeitgesetz vorgeschriebene Ruhezeit von elf Stunden
kann ich damit nicht einhalten. Gestern war das nicht anders. Aller-
dings habe ich nicht ununterbrochen gearbeitet, sondern bin um 18
Uhr heimgekommen, um meinen Sohn zum Hockeyplatz zu fahren
und mit der Familie zu
essen, bevor ich mich hier
an den Schreibtisch setzte.
Dieser Arbeitsrhythmus
hilft mir, Beruf und Familie
zu vereinbaren.
Mein Arbeitsrhythmus ist
kein Einzelfall. „Die ganze
Beratungsbranche lebt
außerhalb der gesetzlichen
Vorschriften, und zwar
gut“, erläuterte etwa Ulrike
Schweibert vom Deutschen
Anwaltsverein jüngst bei der „Halbzeitkonferenz Arbeiten 4.0“ von
Andrea Nahles. Und wie reagieren Verbände und Politik? BDA-Chef
Ingo Kramer hat einen klugen Vorschlag gemacht: Arbeits- und Ru-
hezeiten sollen nicht mehr pro Tag, sondern pro Woche betrachtet wer-
den. Annelie Buntenbach, Bundesvorstand DGB, lehnt das ab, sieht
darin nur den Abbau der Schutzrechte. Für Nahles wird sich an dieser
Frage entscheiden, ob „Arbeiten 4.0“ nur ein Image-Projekt ist, oder
ob sie den Mut hat, echte Änderungen herbeizuführen. Änderungen,
die Gewerkschafter kritisch sehen, aber Wissensarbeitern wie auch
Arbeitgebern helfen, ihre Arbeitswelt in die Legalität zu führen. Die
Hürde für Nahles, die bisher vor allem Schutzrechte ausgebaut hat, ist
hoch. Der Preis, es nicht zu tun, ist höher: Sie, wie auch die SPD, wird
in der modernen Arbeitnehmerschaft weiter an Zustimmung verlieren.
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EDITORIAL
05/16 personalmagazin
Liebe Leserinnen und Leser,
„Ich bin mo-
biler Arbei-
ter. Mit dem
Schreiben
dieses Edi-
torials verletzte ich das
Arbeitszeitgesetz.“
Reiner Straub, Herausgeber
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