PERSONALquarterly 4/2016 - page 55

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hen und Bildungskonten Instrumente der Nachfrageförderung
sind. Interessierte können Weiterbildungsanbieter selbst wäh-
len und finanzieren. Ein monetäres Ertragskonzept allein mit
Blick auf den Arbeitsmarkt greift, so die Analyse, zu kurz, da
Weiterbildungsentscheidungen berufliche, private und gesell-
schaftliche Relevanz haben, die nicht nur monetär zu beziffern
sind. So führen Umorientierungen im höheren Alter bei phy-
sisch anstrengenden Berufen möglicherweise nicht zu höheren
Einkommen, aber die Beschäftigungsfähigkeit durch einen Be-
rufs- oder Tätigkeitswechsel wird erhalten. Weiterbildung ist
demnach sowohl ein gesellschaftlicher Reparaturbetrieb als
auch komplementär zu vorherigen Bildungsverläufen zu finan-
zieren. Insbesondere mittlere Altersgruppen in der Rushhour
des Lebens oder auch mittlere Qualifikationsniveaus drohen
so aus dem Blick der Weiterbildungspolitik zu geraten. „Bil-
dungsfinanzierung muss die Heterogenität von Lebenslagen
und Lebensläufen mehr in den Blick nehmen“, sagt Käpplinger.
Duale Ausbildung passt zur Digitalisierung
Für Professorin Uschi Backes-Gellner beginnt die Zu-
kunftsfähigkeit bei Ausbildung und Studium. Die Per-
sonalökonomin an der Universität Zürich ist Mitglied der
Expertenkommission Forschung und Innovation in Deutsch-
land und untersucht Mobilität, Innovationsfähigkeit und Ar-
beitsmarktaussichten. Für die Schweiz und für Deutschland
sagt sie: „Wir sind doch nicht schlechter aufgestellt bei der
Digitalisierung, weil es weniger Akademiker gibt. Denn es
ist eine Unterstellung, dass Akademiker per se mit IT und
Digitalisierung besser umgehen können.“ Vergessen würden
bei einer solchen Argumentation zum Beispiel die vielen
Geisteswissenschaftler, deren Universitätsausbildung typi-
scherweise keinen Schwerpunkt in Digitalisierungskompe-
tenzen aufweist. Auch in der Einkommensverteilung, das
hat sie kürzlich erforscht, bringt ein Studium nicht für alle
V.l.n.r.: Prof. Dr. Andreas Wörgötter (OECD bis Juni 2016), Prof. Dr. Bernd Käpplinger (Universität
Gießen), Prof. Dr. Uschi Backes-Gellner (Universität Zürich)
einen Vorteil. Denn die Ertragsraten für unterschiedliche
Bildungsgänge sind heterogen. Um die Bildungsrenditen
von Akademikern und dual Ausgebildeten wirklich verglei-
chen zu können, bräuchte man experimentelle Bedingungen.
Denn nur dann könnte man Faktoren wie Talent, Ehrgeiz oder
Fleiß, die das Einkommen auch treiben, berücksichtigen. „Es
ist ein Vorurteil, dass die Lernfähigkeit der dual Ausgebil-
deten geringer ist“, so Backes-Gellner. Ihr Beleg: Viele Fach-
kräfte vor allem in großen Unternehmen qualifizieren sich
ganz regelmäßig weiter. Und den Absolventen der dualen
Ausbildung steht ein breites Spektrum an Qualifizierungen
bis zum Studium offen. Das wird zum Beispiel in der Schweiz
genutzt, wo zwei Drittel eines Jahrgangs eine Berufsausbil-
dung machen und nicht wenige anschließend anwendungs-
orientiert an Fachhochschulen studieren oder eine höhere
Berufsbildung absolvieren.
Berufliche Weiterbildung und Studium sind aber natür-
lich umso besser zu bewältigen, je breiter die Grundlagen
in einer beruflichen Ausbildung sind. Außerdem werde
Berufsabgängern mit guter Basis kurzfristig ein leichter
Arbeitsmarkteinstieg und langfristig ein möglichst breites
Spektrum an Wechselchancen eröffnet. Deshalb sollten, er-
klärt Forscherin Backes-Gellner, Ausbildungsordnungen für
die Zukunft so weiterentwickelt werden, dass sie einerseits
ein spezifisch auf einen Beruf zugeschnittenes Qualifikati-
onsbündel aufweisen, andererseits aber auch ein Bündel an
Qualifikationen mit ausreichenden Überschneidungen zu
anderen Berufen und Clustern von Berufen mit hoher Nach-
frage enthalten. Schon heute bauen qualifizierte Facharbei-
ter im Innovationsprozess eine Brücke zwischen F&E und
Produktion. Nicht die Senkung der Jugendarbeitslosigkeit
sondern langfristige Arbeitsmarktaussichten für die duale
Ausbildung gehören ihrer Meinung nach deshalb ins Zent­
rum der Bildungspolitik.
© ANDREAS TEICH/ ACTION PRESS
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