Immobilienwirtschaft 10/2015 - page 96

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TECHNOLOGIE, IT & ENERGIE
I
ENERGETISCHE SANIERUNG
selbst refinanzieren. Als Maßstab für den
hierzu relevanten Betrachtungszeitraum
gilt die technische Lebensdauer der ein-
zelnen Bauteile und technischen Anlagen.
Hierbei trägt der Gesetzgeber dem Um-
stand Rechnung, dass beispielsweise eine
Fassade eine längere technische Lebens-
dauer aufweist als etwa einHeizungsbren-
ner oder eine Pumpe.
„MORALISCH VERSCHLISSEN“
Praxistaug-
liche Anhaltewerte für die unterschied-
liche Lebenserwartung bieten unter an-
derem die verfügbaren Übersichten zur
steuerlichen Abschreibung. Hiernach
gelten Gebäudeteile oder technische Aus-
rüstungen als „moralisch verschlissen“,
selbst wenn sie nach Zeitablauf ihrer
bestimmungsgemäßen Funktion noch
nachkommen. Somit bleibt im Rahmen
des Wirtschaftlichkeitsgebots vor allem
der künftige Energiepreis eine unbekann-
te Größe. Abgesehen von kurzfristigen
Schwankungen hatten die Energiepreise
– etwa für Elektrizität, leichtes Heizöl oder
auch Erdgas – in den vergangenen Jahren
im Regelfall die Tendenz der Steigerung.
Meist stellte sich daher nur die Frage,
welche Preissteigerung einer Wirtschaft-
lichkeitsberechnung imEinzelfall zugrun-
de gelegt werden sollte. Vielfach behalf
man sich hier mit Szenarien, die drei Va-
rianten der erwarteten Preisentwicklung
abbildeten: hoch, mittel und niedrig – ge-
gebenenfalls mit weiteren Abstufungen.
ÖLPREIS SINKT
Diese weitgehend be-
währte Betrachtungsweise wird nun in
mehrfacher Hinsicht infrage gestellt:
Die Energiepreisentwicklung zeigte sich
jüngst sprunghaft und unberechenbar.
Im Zusammenhang mit einem signifi-
kanten Konjunktureinbruch erreichte das
Energiepreisniveau etwa um 2009 einen
vorläufigen Tiefstand, während es in den
Jahren bis 2013 beständig und deutlich
anstieg.
D
as Wirtschaftlichkeitsgebot für ener-
getische Maßnahmen findet sich in
der unmittelbaren Folge der Ölkrise
erstmals im Erneuerbare Energien Ge-
setz (EnEG) von 1976. Auf den ersten
Blick also eine alte, längst verarbeitete
Thematik. Doch heute besteht verstärkt
Grund zur Annahme, dass solche öko-
nomischen Selbstverständlichkeiten wie-
der infrage gestellt werden. Beispiele für
diesen Ansatz finden sich in der Arbeit
der Enquete-Kommission „Wachstum,
Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu
nachhaltigem Wirtschaften und gesell-
schaftlichem Fortschritt in der sozialen
Marktwirtschaft“, vorgelegt im Juni 2013
(BT-Drucks. 17/13300 vom 03.05.2013).
Unabhängig von Nutzung, Alter oder
Lage einer jeweiligen Immobilie müssen
sich Investitionen hinsichtlich der Einspa-
rung von Energie rechnen. Effizienzsteige-
rung ist daher für den Investor – zumin-
dest bei langfristiger Betrachtung – ein
wichtiges Thema. Ob eine Ausgabe sich
im jeweils konkreten Einzelfall tatsächlich
lohnt, kann nicht nach einer allgemeinver-
bindlichen Formel berechnet werden. Es
gilt die Variablen zu beachten: den Zeit-
horizont der Investition, den Energiepreis
im Moment der Kaufentscheidung, die
Erwartung der künftigen Energiepreis-
entwicklung sowie das maßgebliche Zeit-
fenster der Betrachtung.
Im Vergleich zu anderen energiewirt-
schaftsrechtlich relevanten Vorschriften
mit Bezügen zur Immobilienwirtschaft
hat der Gesetzgeber im gegenwärtig
gültigen § 5 I Energieeinsparungsgesetz
EnEG eine erfreulich klare und in den
Grundzügen vorbildliche Regelung ge-
troffen. Hiernach können nur diejenigen
Maßnahmen verbindlich verlangt werden,
die nach dem Stand der Technik erfüllbar
und wirtschaftlich vertretbar sind. Das
sind namentlich solche Investitionen, die
sich innerhalb der üblichenNutzungsdau-
er über die künftige Energieeinsparung
Wir brauchen ein
Wirtschaftlichkeitsgebot 2.0
Fragestellungen rund um die
energetische Bewirtschaftung
von Immobilien sind nicht
neu. Ab 2007 kamen jedoch
benachbarte Fragestellungen,
wie die des Ressourcen- und
Klimaschutzes sowie Aspekte
der Nachhaltigkeit hinzu. Was
muss passieren, damit zu-
künftig wirtschaftlich sinnvoll
saniert werden kann?
„Es darf für die Immo-
bilienwirtschaft keine
Verpflichtung zu Maß-
nahmen geben, deren
Unwirtschaftlichkeit von
Anbeginn an feststeht.“
Thies Grothe,
Referent für CSR,
Energie und Umwelt, ZIA Zentraler
Immobilien Ausschuss e.V.
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