DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 05/2015 - page 23

Ambient Assisted Living – AAL
Die mitalternde Wohnung
Der demografische Wandel rückt vermehrt in den Mittelpunkt politischer und gesellschaftlicher
Diskussionen. Studien haben die Verschiebung zugunsten älterer Bevölkerungsgruppen quantifiziert.
Diese Bevölkerungsalterung führt zu einem deutlichen Anstieg der Zahl pflegebedürftiger Personen,
zu Mehrbelastungen für öffentliche Haushalte, Sozial- und Pflegekassen sowie zu Nachfrageänderungen
in der Wohnungswirtschaft hin zu bedarfs- und altersgerechtem Wohnraum.
Mehr und mehr kranke sowie pflegebedürftige
Menschen, die vor einigen Jahren noch auf eine
stationäre Behandlung angewiesenwaren, werden
heute im häuslichen Umfeld versorgt. Zukünftig
wird sich dieser Trend im Zuge des Paradigmas
„ambulant vor stationär“ weiter verstärken. Die
eigentliche Herausforderung stellt aber nicht der
demografischeWandel selbst dar, sondern die Art
und Weise, wie damit umgegangen wird. Denn er
schafft bestimmte Realitäten, denen es adäquat
auf allen Ebenen und mit entsprechenden poli-
tischen Rahmenbedingungen zu begegnen gilt.
Um diese gesamtgesellschaftliche Herausforde-
rung zu bewältigen, müssen neue Konzepte wie
Ambient Assisted Living (AAL) Anwendung finden.
Aktuelle Entwicklungen im Bereich AAL-Technik
bieten gute Möglichkeiten für technische Assis-
tenz in der Wohnung und ergänzende Möglich-
keiten für wohnbegleitende Dienstleistungen und
neueWohnkonzepte. Bei demThema Ambient As-
sisted Living geht es um das Individuum in seiner
direkten Umwelt, also auch in seiner Wohnung.
Von daher betrifft das Thema unsere Branche.
Technik und Soziales verbinden
Aufgrund unserer Prinzipien beschäftigen wir uns
schon seit Jahren mit baulichen und sozialen Kon-
zepten. Jetzt ist es wichtig, diese durch Produkte
undneueDienstleistungen zuergänzen, damit inno-
vativeTechnologien integriert undmit demsozialen
Umfeld verbunden werden können. Insbesondere
die sächsischen Wohnungsgenossenschaften ha-
ben im Rahmen des Konzeptes der „Mitalternden
Wohnung“ begonnen, sich intensivmit demThema
auseinanderzusetzen, Konzeptideen zuübernehmen
und Systeme auszuprobieren. Ziel ist es, dieWohn-
undLebensqualität fürMenschen inallenLebensab-
schnitten zuerhöhen. Dabei solltedieTechnikhinter
der Dienstleistung stehen, denn sie soll unterstützen
und nicht zur Vergreisung der Bewohner führen.
Deshalb ist es wichtig, entsprechende menschli-
che Schnittstellen (z. B. Sozialarbeiter) und soziale
Angebote (Begegnungsstätten etc.) zu schaffen.
Eine Akzeptanz der AAL-Systeme durch die Nutzer
setzt jedoch sensibilisierte und informierte Akteu-
re voraus. Wir haben gelernt, wie wesentlich eine
beteiligungsorientierte Einbindung der Nutzer ist.
Eine praktische Umsetzung funktioniert dann,
wenn es aktive Kooperationen gibt und die Akteure
schon in die Erarbeitung der Konzepte einbezogen
sind. Und sie klappt umso besser, je fassbarer die
Angebote sind. Dabei haben wir allerdings auch
festgestellt, dass der Nutzen einer Anwendung
individuell ganz unterschiedlich wahrgenommen
wird und dass die Akzeptanz steigt, wenn sie al-
tersübergreifend einenMehrwert darstellt. Hinzu
kommt, dass eine gewisse Individualisierung, z.B.
bei vernetzten Dienstleistungen, gewährleistet
werden muss, damit der Mieter sich und seine
Bedürfnisse in dem Angebot wiederfindet. So
hat sich gezeigt, dass bei den älteren Nutzern
Sicherheitsfunktionen an erster Stelle stehen,
während Gesundheitsdienste für sie erst bei ei-
nemkonkreten Bedarf relevant werden. Bei jünge-
ren Nutzern überwiegen die Komfortfunktionen.
Weitere Erfolgskriterien für eine hohe Akzeptanz
der Technik (und in der Folge der entstehenden
Geschäftsmodelle) betreffen ferner die Modula-
rität der Leistungen, deren Nachrüstbarkeit, die
Bedienfreundlichkeit sowie die Unaufdringlich-
keit bzw. Kontrollierbarkeit des jeweiligen AAL-
Produktes bzw. der Lösung. Mit einem„Design für
alle“ (universal design) besitzen die Produkte eine
verbesserte Gebrauchstauglichkeit, die auch eine
größere soziokulturelle Gerechtigkeit ermöglicht.
Finanzierung
Es wäre ein ausreichender Erfolg, wenn es reali-
sierbar ist, mind. 10% des gesamten Wohnungs-
bestandes dementsprechend umzubauen, um so
die Verweildauer in der Wohnung zu erhöhen.
Die Aufrüstung kann entsprechend dem Alter
der Bewohner schrittweise erfolgen. Die meisten
Assistenzlösungen sind so konzipiert, dass sie
„mitalternd“ zumEinsatz kommen. Das verringert
auch die Kosten. Dadurch ist zunächst nur eine
Grundausstattung erforderlich, die heute schon
über verschiedene Produkte hinweg mit max.
2.500 € beziffert werden kann. Dennoch ist die
Finanzierung häufig ein „K.O.-Kriterium“, sofern
die Wohnung noch nicht barrierearm bzw. barri-
erefrei ist, da der Hauptanteil der Kosten in Höhe
von 25.000-30.000 € immer noch auf den Umbau
zur Herstellung der Barrierearmut bzw. -freiheit
der Wohnung entfällt. Deshalb müssen sich alle,
die einen Nutzen haben oder eine Wertschöpfung
erzielen, an der Finanzierung beteiligen.
Das bedeutet im Einzelnen: Der Mieter erbringt
einen Eigenanteil für eine höhere Lebens- und
Wohnqualität mit der Mietzahlung. Die Kranken-
und Pflegekassen sparen durch die ambulante
Betreuung erhebliche Kosten und sollten einen
Investitionsbeitrag oder eine Subjektförderung
zahlen. Soziale und technische Dienstleister geben
einen Finanzierungsbeitrag, da sich für sie neue
Geschäftsfelder eröffnen. Ebenso dieWohnungs-
wirtschaft, da siemit einer längeren Verweildauer
der Bewohner über stabile Mieteinnahmen ver-
fügt, wie auch die Kommunen, die sozial stabile-
re Quartiere erhalten und geringere Sozialkosten
haben. So profitieren am Ende alle Beteiligten.
Dr. Axel Viehweger
Vorstand
Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften e. V.
Dresden
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