Wohnungspolitische Informationen 13/2019 - page 2

EUROPAPOLITIK
Rechtsgutachten des Verfassungsrechtlers
und Präsidenten des Berliner Verfassungs-
gerichtshofs a.D., Prof. Dr. Helge Sodan
kommt zu dem Ergebnis, dass die Vergesell-
schaftung von großen Wohnungsunterneh-
men in Berlin in mehrerlei Hinsicht verfas-
sungswidrig wäre. Sowohl das Grundgesetz
als auch die Berliner Landesverfassung stün-
den dem Vorhaben entgegen.
„Die Enteignungsdiskussion ist von großer
Tragweite für die Zukunft unserer wachsen-
den Stadt“, erklärte BBU-Vorstand
Maren
Kern
im Zusammenhang einer Pressekon-
ferenz am 20. März 2019 in Berlin. „Bereits
die Debatte bringt in Form von gesellschaft-
licher Polarisierung, Rechtsunsicherheit und
einer drohenden Herabstufung der Kredit-
würdigkeit des Landes Schaden für Berlin.
Seine Umsetzung wäre nicht nur mit enor-
men finanziellen Belastungen und Risiken
verbunden, sondern wäre auch ein fataler
Schlag gegen das Investitionsklima, ohne
dass dadurch auch nur eine einzige Woh-
nung zusätzlich entstehen würde. Deshalb
war es uns sehr wichtig, das Vorhaben
einer gründlichen Prüfung zu unterziehen
und in allen relevanten Rechtsfacetten von
einem unabhängigen Experten untersu-
chen zu lassen. Umso mehr freuen wir uns,
dass das Ergebnis so eindeutig ausgefallen
ist: Eine Enteignung wäre weder mit dem
Grundgesetz noch der Berliner Landesver-
fassung vereinbar.“
Unvereinbar mit dem Grundgesetz
und der Berliner Landesverfassung
Der Verfassungsrechtler verneint in sei-
nem Gutachten mit dem Titel „Zur Ver-
fassungsmäßigkeit der Sozialisierung
von Immobilien privater Wohnungswirt-
schaftsunternehmen im Land Berlin“ die
Vergesellschaftungsfähigkeit von Wohn­
immobilien ebenso wie Erforderlichkeit,
Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit
des Vorhabens, das deshalb einen unzuläs-
sigen Eingriff in die Eigentumsfreiheit nach
Art. 14 Grundgesetz (GG) darstellt. Außer-
dem sieht Sodan den grundgesetzlichen
Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt und
bezweifelt, dass die Entschädigungskos-
ten ohne einen Verstoß gegen die ab 2020
verbindliche grundgesetzliche „Schulden-
bremse“ möglich wäre. Ein weiterer zen-
traler Punkt: Die 1995 per Volksentscheid
in Kraft gesetzte Berliner Landesverfassung
hat einen noch stärkeren Eigentumsschutz
als selbst das Grundgesetz – und sieht des-
halb weder das Instrument der Vergesell-
schaftung noch der „Legalenteignung“,
also einer Enteignung per Gesetz, vor.
„Als die Berliner Landesverfassung 1995
ausgearbeitet wurde, waren die Eindrücke
der schlimmen Folgen von Enteignung und
Kollektivierung in der eben erst wiederver-
einigten Stadt noch ganz frisch. Deshalb
wurde bewusst auf diese Instrumente ver-
zichtet.
Forderung nach klarer Positionierung
des Senats
Angesichts der Reichweite des Vorhabens
der Enteignungs-Initiative forderte Kern
vom Berliner Senat eine klare Positionie-
rung. „Es kann nicht sein, dass es in einer
so wichtigen Frage bislang keine einheitli-
che Position der Landesregierung gibt. Sie
muss sich der Diskussion stellen und klar-
machen, für was sie steht – insbesondere
in Anbetracht der potenziell gravierenden
Auswirkungen auf den Landeshaushalt
und die Zukunft Berlins als Wirtschafts-
standort.“
(ebe/koch)
Das Gutachten zum Download finden Sie
unter:
Fortsetzung von Seite 1
Erwartungen der Wohnungswirtschaft an die Europapolitik
Brüssel/Berlin – Die Menschen in Europa wählen am 26. Mai 2019 ein neues Parlament und auch einen neuen Kommissi-
onspräsidenten. Für die deutsche Wohnungswirtschaft ist die europapolitische Perspektive auf Wohnungsunternehmen
und ihre Anforderungen an den Gebäudebestand von großer Bedeutung. Immobilien sind von hohem gesellschaftlichem
sowie gesamtwirtschaftlichem Wert und tragen in erheblichem Maß zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung bei.
Während der globalen Finanz- und Wirt-
schaftskrise hat der Immobilienmarkt in
Deutschland eine stabilisierende Wirkung
auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung
gehabt. Positiv wirkt sich das traditionell
solide langfristige Finanzierungssystem mit
risikoarmen Festzinsdarlehen aus.
Dennoch sind die finanziellen und bau-
rechtlichen Rahmenbedingungen der
Branche durch neue Richtlinien, wie
beispielsweise die Basel III Reglungen
oder Energieeffizienzanforderungen an
Gebäude, europaweit in den letzten Jahren
insgesamt schwieriger geworden. So steht
die Immobilienwirtschaft vor großen wirt-
schaftlichen, gesellschaftlichen und struk-
turellen Herausforderungen. Dies sind
insbesondere die zunehmende Internati-
onalisierung der Finanz- und Immobilien-
märkte bei gleichzeitig verstärkter Regi-
onalisierung der Wohnungsmärkte, die
Digitalisierung, die Energiewende und der
Klimawandel sowie die demografische Ent-
wicklung bei steigender Wohnungsnach-
frage in den Ballungszentren und Abwan-
derungsbewegungen im ländlichen Raum.
Europäische Politik muss darauf reagieren
und stärker als bisher mit der Immobili-
enwirtschaft zusammenarbeiten, um auf
die anstehenden Herausforderungen wirt-
schaftlich und gesellschaftlich tragfähige
Antworten zu erarbeiten. Immobilien müs-
sen den Anforderungen einer sich stetig
verändernden Gesellschaft genügen sowie
in ausreichendem Maß am Markt verfüg-
bar sein, so dass die Funktionsfähigkeit des
Marktes sichergestellt wird.
Die Europäischen Union wird 2019 ein
neues Europäisches Parlament, einen
neuen Kommissionspräsidenten und eine
neue Kommission haben. Darum fordert
die Wohnungswirtschaft von der künftigen
europäischen Politik, bei allen politischen
Initiativen ihre ökonomischen, sozialen und
ökologischen Auswirkungen zu berück-
sichtigen und die Bezahlbarkeit des Guten
Wohnens sowie die Wirtschaftlichkeit für
die Wohnungsunternehmen zu erhalten.
Die für die Legislaturperiode 2019-2024
wichtigen Themen und Forderungen der
deutschen Wohnungs- und Immobilien-
wirtschaft sind in dem Positionspapier des
GdW dargestellt.
(öne/koch)
Das PDF zum Download finden Sie unter:
Quelle: GdW
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