WOHNUNGSPOLITISCHE INFORMATIONEN 16/2018 - page 3

JUBILÄUM
wi: In Ihre Amtszeit als GdW-Präsi-
dent fiel Mitte der 2000er Jahre eine
Verkaufswelle kommunaler Woh-
nungsbestände. Wie bewerten Sie
die Auswirkungen dieser Entwicklung
rückblickend aus Ihrer heutigen Sicht?
Lutz Freitag:
Ich habe damals vor dem Ver-
kauf öffentlicher und insbesondere kom-
munaler Wohnungsbestände und -unter-
nehmen permanent und nachdrücklich
gewarnt: Was Gold wert ist, soll man nicht
versilbern! Der erste GdW-Kongress zur
Bedeutung der kommunalen Wohnungs-
unternehmen für die Städte fand 2005 in
Hannover mit großer Resonanz statt. Ich
prägte damals den Begriff der „Stadtren-
dite“, den kommunale Wohnungsunter-
nehmen zusätzlich zu den betriebswirt-
schaftlichen Ergebnissen für die Stadt
erbringen: Stadt- und Quartiersentwick-
lung, Stadtumbau, Mietensta-
bilität, vielfältige soziale Leistun-
gen und Ähnliches. Dennoch
wurden – einem populistischen
ökonomischen Mainstream fol-
gend – Land auf Land ab öffent-
liche und kommunale Wohnun-
gen verscherbelt. Dresden war
auf einmal „wohnungslos“.
Sogar mit Zustimmung eines
Teils der Linken im Stadtrat. In
Freiburg hatte der grüne Ober-
bürgermeister Euro-Zeichen
in den Augen und wollte das
städtische Wohnungsunternehmen meist-
bietend veräußern. GdW und Mieterbund
bekämpften energisch und mit Erfolg die-
ses Vorhaben: In einem Bürgerbegehren
wurde der Verkauf abgelehnt. Heute fin-
det sich kaum ein Politiker, der noch dem
Verkauf kommunaler Wohnungsunter-
nehmen das Wort redet. Nur ewig Gest-
rige – wie das Institut der Deutschen Wirt-
schaft – plädieren dafür. Die Prognosen
des GdW zu den Nachteilen des Verkaufs
sind vollumfänglich eingetreten. Aber die
verantwortungslosen Politiker sind meist
nicht mehr im Amt. Die Berliner bereuen
besonders die Fehlentscheidungen frühe-
rer politischer Mandatsträger. In Dresden
wird eine neue kommunale Wohnungs-
gesellschaft gegründet. Der Freiburger OB
Salomon soll in der Zwischenzeit froh sein,
dass wir ihn am Verkauf gehindert haben.
Im Übrigen hat es nach dieser politischen
Niederlage keine Stadt mehr gewagt, rele-
vante Wohnungsbestände zum Verkauf
anzubieten. Und das ist auch gut so! In
der Bewältigung des Wohnraummangels
und der sozial-räumlichen Integration der
Zuwanderer, bei der Erhaltung und Wie-
derherstellung funktionierender Nachbar-
schaften sowie des generationsgerechten
Wohnens und der energetischen Moder-
nisierung leisten die kommunalen Woh-
nungsgesellschaften Vorbildliches. Sie sind
einfach unverzichtbar.
wi: Den Beginn Ihrer Amtszeit prägten
Leerstände und Abriss – 10 Jahre spä-
ter hatte bereits die aktuelle Phase
der angespannten Wohnungsmärkte
in vielen Großstädten begonnen. Wie
sähe Ihre Strategie zur Lösung der
Herausforderungen auf Deutschlands
Wohnungsmärkten aus?
Lutz Freitag:
Wir haben bereits während
unseres Einsatzes für den staatlich geför-
derten Abriss von dauerhaft leerstehen-
den Wohnungen immer drauf hingewie-
sen, dass andererseits Neubau in vielen
anderen Regionen dringend erforderlich
ist. Meine Botschaft an die Politiker: Die
Probleme von Hoyerswerda können wir
nicht mit den Problemen in München
„dübeln“! Doch die Warnungen verhall-
ten. So wurde viel zu spät auf Wohnungs-
neubau umgesteuert und der Zeitbedarf
für die Realisierung von Neubauvorhaben
verkannt. Die umfangreiche Zuwanderung
verstärkte in den Hotspots oder „Schwarm-
städten“ die Nachfrage nach – vor allem
preiswertem – Wohnraum erheblich. Die
massiv gestiegene Bautätigkeit und das
fehlende Angebot an bezahlbarem Bau-
land verteuerten den – bereits seit Jahren
durch immer neue Auflagen und Vorschrif-
ten extrem finanziell belasteten – Neubau
weiter. Ohne umfangreiche Förderung
des sozialen Mietwohnungsbaus ist für
Bezieher niedriger und mittlerer Einkom-
men ein bezahlbares Wohnungsangebot
nicht mehr zu realisieren. Daher sind die
erheblichen Mittel, die der Bund bereitge-
stellt hat, und die beabsichtigte Grundge-
setzänderung, die diese Förderung auch
weiter ermöglichen soll, notwendige –
aber keineswegs ausreichende – Bedin-
gungen für die mittelfristige Beseitigung
des Wohnraummangels in den wachsen-
den Städten. Es müssen von den Ländern
ebenfalls große finanzielle Anstrengungen
unternommen werden, und die kosten-
treibende Wirkung der vielen staatlichen
Regulierungen und Restriktionen müssen
endlich eingedämmt und möglichst zurück-
entwickelt werden, baureife Grundstücke
zu bezahlbaren Preisen müssen bereitge-
stellt und bürokratische Genehmigungs-
verfahren entschlackt und die Verfahren
beschleunigt werden. Die Angebote des
öffentlichen Regionalverkehrs zwischen
„Schwarmstädten“ und Umland müssen
– ebenso wie die Infrastruktur und die all-
gemeinen Lebensverhältnisse in den von
neuem Leerstand bedrohten – vor allem
ländlichen – Gemeinden wesentlich ver-
bessert werden. So kann der Nachfrage-
druck von den „Hotspots“ genommen und
viele teure Wohnungsbauinvestitionen in
den Ballungszentren überflüssig werden.
Ich hoffe, die politisch Verantwortlichen
in den Gebietskörperschaften finden sich
in einer konzertierten und konsequen-
ten Handlungsgemeinschaft zusammen,
um gemeinsam und abge-
stimmt das Problem des regi-
onal stark zugespitzten Wohn-
raumbedarfs zu lösen und das
sozial friedliche Miteinander
in den Städten zu sichern. Die
neue Bundesregierung trifft
dabei eine besondere Verant-
wortung, weil es letztlich um
den gesamtgesellschaftlichen
Zusammenhalt sowie den sozi-
alen Frieden in den Städten
und Quartieren geht.
wi: Die wi feiert in diesem Jahr ihren 70.
Geburtstag. Welche Bedeutung hatte
das einzige wöchentliche, bundesweite
Fachmagazin zur Wohnungspolitik in
Ihrer Amtszeit und wie schätzen Sie
seine Rolle in der heutigen „schnellle-
bigen“ Medienlandschaft ein?
Lutz Freitag:
Die wi war und ist aktuell und
grundsätzlich. Sie liefert für Entscheider und
Interessierte fundierte und komprimierte
Informationen. Wer regelmäßig die wi liest,
ist in Fragen der Wohnungspolitik und wich-
tigen Trends in der Wohnungswirtschaft
stets auf dem Laufenden. Die wi ist – wie
die kommunalen Wohnungsunternehmen
– einfach unverzichtbar. Der 70. Geburts-
tag belegt das. Die wi ist nach sieben Jahr-
zehnten robust genug für die Zukunft, und
das engagierte junge und kompetente Team
in der Redaktion sorgt dafür, dass sie noch
lange lebt; aber nie alt wird.
70 Jahre wi – GdW-Präsidenten im Interview
WOHNUNGSPOLITISCHE
INFORMATIONEN
Lutz Freitag
GdW-Präsident
von 2001 bis 2011
NACHGEFRAGT
Foto: Tina Merkau
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