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BUNDESPOLITIK
Klimaschutzpolitik erfordert Augenmaß
Berlin – Die Immobilienwirtschaft spielt eine tragende Rolle beim Klimaschutz und bei der Energiewende. Sie ist ein star-
ker und verlässlicher Partner der Bundesregierung, wenn es darum geht, die klimaschutzpolitischen Ziele zu erreichen.
Zwischen 1990 und 2014 etwa wurde der CO
2
-Ausstoß im Gebäudesektor von 209 auf 119 Millionen Tonnen pro Jahr redu-
ziert. Kein anderer Wirtschaftszweig kann derart hohe Einsparungen in diesem Zeitraum aufweisen. Allerdings bedarf es
im Gebäudesektor auch einer spezifischen Herangehensweise. Mit einer reinen Verschärfung des Ordnungsrechts ist kaum
mehr etwas zu erreichen. Die „Rolle der Immobilienwirtschaft in der Klimaschutzpolitik“ steht daher am 5. Oktober 2017
im Mittelpunkt der Expertendiskussion auf dem Gemeinschaftsstand der Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirt-
schaft Deutschland (BID) auf der Expo Real in München. Die wi hat vorab mit den Podiumsteilnehmern gesprochen.
Für
Maria Hill
, Vorsitzende des Ausschus-
ses Energie und Gebäudetechnik des Zen-
tralen Immobilien Ausschusses (ZIA), muss
insbesondere der Quartiersgedanke weiter
gestärkt werden: „Wir brauchen ein tech-
nologieoffenes, wirtschaftsverträgliches
und flexibles Umfeld, damit die Branche
ihren Teil zu den ambitionierten Klimazie-
len beitragen kann. Die Klimaschutzpoli-
tik der Bundesregierung darf keinesfalls
zu einer Überforderung des Gebäudesek-
tors und unnötig steigenden Kauf- oder
Mietpreisen in Deutschland führen. Zudem
muss viel stärker als bisher die Optimierung
des Energieverbrauchs vom Gebäude auf
die Quartiersebene erweitert werden, um
auch das einzelne Gebäude von dem gna-
denlosen Effizienzdruck zu befreien. Der
Anwendungsbereich ist so deutlich breiter
und bietet die Chance, Technologieoffen-
heit wirklich zur Geltung kommen zu las-
sen. Durch die Quartiersperspektive kann
bei der Bilanzierung ein energetischer Aus-
gleich zu jenen Gebäuden stattfinden, die
die Voraussetzungen für weitere Energie-
einsparpotenziale nicht besitzen.“
Wirtschaftliche Zerreißprobe
Auch
Christian Bruch
, Bundesgeschäfts-
führer des Bundesverbandes Freier Immo-
bilien- und Wohnungsunternehmen (BFW),
warnt im Bereich der Klimaschutzpolitik vor
einer Überforderung: „Die Immobilienun-
ternehmen stehen bei den energetischen
Anforderungen kurz vor einer wirtschaft-
lichen Zerreißprobe. Seit 2002 sind die
Baukosten bei jeder EnEV-Novelle über-
proportional angestiegen, während die
Energieeinsparung in den Promillebereich
gesunken ist. Hier kann es kein ‚Weiter
so‘ geben – weder für die Immobilienwirt-
schaft, noch für Mieter und Eigentümer.
Deshalb muss künftig vor der Verabschie-
dung von jedem Gesetz die Frage stehen,
wo der eingesetzte Euro die besten Klima-
schutzwirkungen entfaltet. Das Ergebnis
muss ein auf die Immobilie abgestimmter
Maßnahmenmix sein, der die Besonderheit
des Gebäudes und der Eigentümer berück-
sichtigt. Jeder andere Weg gefährdet letzt-
endlich den sozialen Frieden – und somit
auch die Akzeptanz der vereinbarten Kli-
maschutzziele.“
Stärkere Anreizsysteme
„Der Erfolg der Energiewende wird nicht
durch Anforderungsniveaus und Ord-
nungsrecht bestimmt, sondern durch ihre
Akteure“, meint
Ingeborg Esser
, Haupt-
geschäftsführerin des GdW. „Bei Maß-
nahmen im Gebäudebereich können wir
deshalb nur vorankommen, wenn die
Unternehmen unter der Maßgabe ihrer
Wirtschaftlichkeit und der Leistungsfä-
higkeit der Mieter handeln können. Die
Umsetzung von Energiesparmaßnahmen
muss sich für Eigentümer und Mieter loh-
nen. Freiwilligkeit und Flexibilität haben
sich bei hier Wohngebäuden bisher bestens
bewährt. Das Energieeinsparrecht muss
dabei konsequent auf das CO
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-Senkungs-
ziel ausgerichtet werden. Es dürfen auch
zukünftig keine Zwangsmaßnahmen ver-
ordnet werden, sondern wir brauchen noch
stärkere Anreizsysteme. Zusätzliche, über-
höhte energetische Mindestanforderungen
würden dagegen jegliches wirtschaftliches
Handeln untergraben.“
Weitere Verschärfungen nicht umzu-
setzen
Dass auch weitere Verschärfungen tech-
nisch nicht mehr machbar sind, betont
Tho-
mas Zinnöcker
, CEO von ista und Vorsit-
zender der Task Force Energie des ZIA: „Wir
haben bereits während der vergangenen
Legislaturperiode die Auswirkungen einer
weiteren Verschärfung der energetischen
Vorgaben durch die ZIA-Task Force Ener-
gie untersuchen lassen. Dabei wurde fest-
gestellt, dass weitere Verschärfungen im
Gebäudesektor in der Praxis nicht mehr zu
realisieren sind. Dagegen ist die vermehrte
und verbindliche Nutzung von zertifiziertem
regenerativ erzeugtem Strom und Gas mit
niedrigeren CO
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-Emissionen sinnvoll und
kann dabei helfen, die Klimaschutzziele der
Bundesregierung zu erreichen. Auch durch
den Einsatz von Photovoltaikanlagen und
die Verbesserung der Rahmenbedingungen
für energetische Quartierslösungen könn-
ten bei allen Gebäudetypen kostenintensive
Maßnahmen an der Gebäudehülle reduziert
werden.“
Jan-Christoph Maiwaldt
, CEO/Vorsit-
zender der Geschäftsführung der Noventic
Group, stellt insbesondere die Bedeutung
der Digitalisierung in den Vordergrund:
„Als Noventic Group sind wir durch unsere
Unternehmen QUNDIS, PPC, KeepFocus,
KALO, IKW und SMARVIS Wegbereiter für
die klimaintelligente Steuerung von Immo-
bilien. Darunter verstehen wir alle Lösun-
gen, die durch den Einsatz intelligenter
Technologien – also digitaler Infrastruk-
turen und Datenauswertung – einen Bei-
trag zur Energieeinsparung in Immobilien
und somit zur Energiewende durch CO
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-
Einsparung leisten. Die für unsere Kunden
hierfür notwendigen Ausstattungen und
Dienstleistungen bringen wir in der Noven-
tic Group zusammen.“
(hen/schi)
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Immo-
bilienwirtschaft Deutschland (BID) hat
auf Basis eines Gutachtens weitere Vor-
schläge unterbreitet, wie die Energie-
wende im Gebäudesektor vorangetrie-
ben werden kann. Sie wird damit ihrem
Anspruch gerecht, im Rahmen der Inno-
vationspartnerschaft im Bündnis für
bezahlbares Wohnen und Bauen, For-
schungsprojekte für die Klimaschutzpo-
litik auf den Weg zu bringen. So kommt
ein Gutachten der Technischen Universi-
tät (TU) Darmstadt im Auftrag der BID zu
dem Ergebnis, dass innerhalb des ener-
gie- und klimapolitischen Steuerungssys-
tems für den Gebäudesektor in Deutsch-
land erheblicher Reformbedarf bestehe.
(hen/schi)
Das Gutachten finden Sie unter diesem
Kurz-Link:
Neues Gutachten bestätigt Reformbedarf
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04.10.2017
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