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BUNDESPOLITIK
Kreditklemme durch EU-Richtlinie – Gesetzgeber muss nachbessern
München – Seit März dieses Jahres gilt die EU-Richtlinie für Immobilienkredite in Deutschland. Sie hinterlässt bereits
deutliche Spuren in der Immobilienwirtschaft – und leider keine guten. Immer mehr Institutionen berichten von Benach-
teiligungen bei der Kreditvergabe und von Altersdiskriminierung. Experten diskutierten am 4. Oktober 2016 am Stand
der Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland (BID) auf der Expo Real über den Ernst der Lage.
„Die Immobilienkreditrichtlinie verfolgt ja
den durchaus gut gemeinten Ansatz, Ver-
braucher vor Kreditaufnahmen zu schützen,
mit denen sie sich langfristig überschulden
würden. In der Umsetzung wurde dann aber
leider deutlich über das Ziel hinausgeschos-
sen“, sagte
Hans Peter Trampe
, Vorstand
der Dr. Klein Firmenkunden AG. So könnten
beispielsweise Kreditnehmer zu jung oder
zu alt sein. „Im Endeffekt entmündigt die
Immobilienkreditrichtlinie sowohl Kreditneh-
mer als auch -geber und schafft nur eine
Scheinsicherheit“, so Trampe.
Hans-Joachim Beck
, Steuer-Experte
beim Immobilienverband Deutschland
IVD, erklärte die Problematik: „Aus unse-
rer Sicht stellt die Neuregelung eine ver-
fassungswidrige Altersdiskriminierung dar,
weil Menschen, die über 60 Jahre alt sind,
keinen Kredit mehr bekommen. Ursache
ist die Formulierung in dem neu geschaffe-
nen §§ 505a Absatz 1 Bürgerliches Gesetz-
buch und 18a Absatz 1 Kreditwesengesetz,
nach denen ein Kredit nur vergeben wer-
den darf, wenn wahrscheinlich ist, dass der
Darlehensnehmer den Kredit vertragsge-
mäß erfüllen wird.“ Dies verstünden die
Banken so, dass die Laufzeit des Darlehens
nicht länger sein darf als die statistische
Lebenserwartung des Darlehensnehmers.
Ebenso würden derzeit junge Paare mit
Kinderwunsch benachteiligt. Bei ihnen
prüfe die Bank das Einkommen der nächs-
ten 30 Jahre. Die Kreditgeber befürchten,
dass ein Partner bald nicht mehr arbeitet
und der andere das Darlehen alleine nicht
bedienen kann.
„Die derzeitige Handhabung durch die
Banken führt zu einer sozialpolitischen
Katastrophe. Insbesondere junge Familien
mit durchschnittlichen Einkommen werden
vollständig von der Eigentumsbildung aus-
geschlossen. Wenn sparen in Zeiten von
negativen Zinsen nicht mehr als Instrument
der Alterssicherung dienen kann, gewinnt
die selbstgenutzte Immobilie umso mehr
an Bedeutung“, stellte
Dirk Salewski
, Vor-
stand bei der beta Eigenheim- und Grund-
stücksverwertungsgesellschaft mbH, klar.
Alle Beteiligten der Diskussionsrunde
waren sich einig: Die Politik muss dringend
nachsteuern. „Der ausschließliche Blick auf
die derzeitige und zu erwartende Bonität
des Kunden ist ein Blick in die Glaskugel
und nicht der richtige Ansatz. Ein ausge-
wogener Mix zwischen Bonität und Wert-
betrachtung der Immobilie muss in das Kre-
ditgeschäft einfließen“, sagte
Anita Bilic
,
stellvertretende Bundesgeschäftsführerin
beim Bundesverband Freier Immobilien-
und Wohnungsunternehmen (BFW).
„Zwischen den Verbänden der Deutschen
Kreditwirtschaft, unter anderem dem Ver-
band deutscher Pfandbriefbanken, und
den betroffenen Bundesministerien wer-
den aktuell die Auswirkungen der Kredit-
würdigkeitsprüfung gemäß Wohnimmo-
bilienkreditrichtlinie diskutiert. Die DKB
bringt sich hier aktiv ein“, beschrieb
Holm
Vorpagel
, Bereichsleiter Infrastruktur
der Deutschen Kreditbank AG (DKB), die
gegenwärtige Situation.
Aus Sicht einiger Diskussionsteilnehmer
könnte der Gesetzgeber mit wenigen
Handgriffen schnell und unkompliziert
nachbessern. So müsste beispielsweise die
ursprüngliche Formulierung der EU-Richt-
linie nur wörtlich übernommen werden,
nach welcher ein Kredit nur vergeben wer-
den darf, wenn das Darlehen wahrschein-
lich vertragsgemäß erfüllt wird. Aufgrund
dieser im Passiv gehaltenen Formulierung
ist es unerheblich, ob dies der Darlehens-
nehmer selbst ist oder sein Erbe, ein Bürge
oder eine Lebensversicherung.
(sen/schi)
Foto: Büro Roman Lorenz
Diskutierten über die Wohnimmobilienkreditrichtlinie: Dirk Salewksi (beta), Holm Vorpagel (DKB),
Moderatorin Anita Bilic (BFW), Hans Peter Trampe (Dr. Klein) und Hans-Joachim Beck (IVD) (v. l.)
ist heute das einzige Unterscheidungsmerk-
mal bei der Nachhaltigkeits-Positionierung
von Unternehmen“, sagte
Werner Knips
,
stellvertretender Vorstandsvorsitzender
der Initiative Corporate Governance der
deutschen Immobilienwirtschaft (ICG) und
Management Partner bei Heidrick & Strugg-
les. „Nachdem die ICG und der Zentrale
Immobilien Ausschuss (ZIA) in den letzten
Jahren bereits die ökologische und die öko-
nomische Säule ganzheitlicher Nachhaltig-
keit umfangreich bearbeitet hatten, haben
wir nun, unterstützt und in Zusammenar-
beit mit namhaften Immobiliengesellschaf-
ten, die dritte Säule und deren Nutzen mit
einem Praxis-Leitfaden operationalisiert.
Dieser Werkzeug-Kasten für Entscheider
und operativ Verantwortliche zeigt win-
win-basierte Umsetzung von sozialer-gesell-
schaftlicher Unternehmens-Verantwortung
nach innen und außen auf. Umsetzungs-
maßnahmen werden aktuell durch die
beteiligten Unternehmen und die ICG auf
den Weg gebracht“, so Knips weiter.
Der gemeinsame Tenor der teilnehmenden
Diskutanten war deutlich herauszuhören:
Man muss sich mit seinem Engagement
identifizieren können. Nur so kann lang-
fristiges „am Ball bleiben“ garantiert wer-
den. Ganz nach dem traditionellen Motto:
Tue Gutes und rede darüber.
(kön/schi)
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