personalmagazin 5/2018 - page 71

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05/18 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
keiten bleibt. Mindestens acht Minuten,
das wird man aus dem Urteil schließen
können, ist eine absolute Untergrenze
für die Festlegung einer Reaktionszeit
bei Abruf aus der Rufbereitschaft.
Virtuelle Freiheit hilft nur bedingt
„Dem Arbeitnehmer ist freigestellt, wo
er sich innerhalb der Rufbereitschaft
aufhält. Eine Pflicht zum Erreichen
des Unternehmens besteht ausdrück-
lich nicht.“ Wenn Vereinbarungen so
oder ähnlich lauten, ist dies Ausdruck
der zunehmenden Möglichkeiten, Be-
reitschaftstätigkeiten ortsunabhängig
auszuüben. Als Beispiel kommen hier
die Fälle der EDV-Fernwartung in Be-
tracht. Kann der Einsatz dann noch mit
der mobilen Technik eines Smartphones
oder ähnlichem Equipment bewältigt
werden, fallen für Externe von vornher-
ein keine zu berücksichtigenden Zeiten
zum Aufsuchen des Arbeitsplatzes an.
Das kann grundsätzlich für die Be-
gründung einer kurzen Reaktionszeit
angeführt werden, aber Achtung: Auch
diese Vereinbarungen werden künftig
unter der Maßgabe der neuesten EuGH-
Rechtsprechung zu prüfen sein. Zwar
spricht zunächst für das Vorliegen einer
echten Rufbereitschaft, dass die Mög-
lichkeit der unbeschränkt freien Wahl
des Aufenthaltsorts für den Arbeitneh-
mer gewissermaßen „übererfüllt“ ist.
Dennoch werden auch hier die Vorgaben
des EuGH zu erfüllen sein: Es muss die
Möglichkeit bestehen, privaten Tätig-
keiten in einem sinnvollen Zeitfenster
nachzugehen, ohne der Gefahr jederzei-
tiger Unterbrechung ausgesetzt zu sein.
Ist dies nicht der Fall, wird die zu kurz
gewählte Reaktionszeit im Ergebnis so-
gar zu einer Arbeitsbereitschaftsabrede
führen, da keine Möglichkeit besteht,
private Tätigkeiten innerhalb einer sol-
chen kurzen Zeit aufzunehmen.
ArbZG: Nach Abruf sind alle gleich
Auch wenn das Unternehmen in Sachen
Vereinbarung der Rufbereitschaft alles
richtig gemacht hat, ist dies arbeits-
rechtlich gesehen erst die halbe Miete.
Rechtssicherheit besteht nur insoweit,
dass während der reinen Wartezeit die
Uhr des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) gar
nicht erst zu laufen beginnt.
Ignorieren kann der Arbeitgeber die-
se Vorgabe aber nur dann, wenn die
Rufbereitschaft wirklich ohne Abruf ab-
gelaufen ist. Sobald aber ein solcher er-
folgt, wandelt sich die (arbeitszeitfreie)
Wartezeit in Arbeitszeit um, die dann
gnadenlos das ArbZG auf den Plan ruft.
Ist ein Einsatz erfolgt, wird oft sowohl
die tägliche Höchstarbeitszeit als auch
die elf Stunden Ruhezeit zwischen zwei
Arbeitsschichten nicht einzuhalten sein.
Dazu ein Beispiel: Für den Fall einer
Serverstörung wird mit den Mitarbei-
tern einer EDV-Abteilung eine Rufbe-
reitschaft für den Zeitraum von 17 bis 9
Uhr vereinbart. Einer der Bereitschafts-
dienst-Mitarbeiter, der seinen regulären
Arbeitstag um 7 Uhr begonnen und um
17:00 Uhr beendet hatte, wird um 18:30
Uhr benachrichtigt und löst das Problem
in knapp zwei Stunden per Fernwartung.
Ein zweites Mal wird er um 6 Uhr ange-
rufen und kann das Problem in einem
Drei-Minuten-Gespräch lösen.
Formell ist ein zweifacher Verstoß
gegen das ArbZG zu konstatieren, näm-
lich eine Überschreitung der täglichen
Höchstarbeitszeit (§ 3 ArbZG) und der
gesetzlichen Ruhezeit (§ 5 ArbZG).
Die Öffnungsklausel richtig einsetzen
Die Strenge des Arbeitszeitgesetzes hat
jedoch nicht zur Folge, dass bei Rufbe-
reitschaftsabreden in Kombination mit
regulären Dienstplänen Verstöße gegen
das ArbZG, insbesondere die Ruhezeit-
vorschriften, in Kauf genommen wer-
den müssen. Schließlich formuliert das
Gesetz selbst Auswege in Form einer
Ausnahmeregelung und einer weitge-
henden sogenannten Öffnungsklausel.
Zunächst zu den Ausnahmerege-
lungen: Nach § 5 Abs. 2 ArbZG kann die
gesetzliche Ruhezeit in den Branchen
Krankenhäuser, Gaststätten, Verkehrs-
Rundfunk- sowie Landwirtschafts- und
Tierhaltungsbetriebe generell flexibel
gestaltet oder zu anderen Zeiten ausge-
glichen werden. In Krankenhäusern und
Pflegeeinrichtungen besteht nach § 5
Abs. 3 eine weitere Flexibilisierungs-
möglichkeit speziell für „Kürzungen der
Ruhezeit durch Inanspruchnahme wäh-
rend der Rufbereitschaft“.
Tarifliche Öffnungsklausel nutzen
Von herausragender Bedeutung für die
rechtskonforme Durchführung von Be-
reitschaftsdienstabreden ist § 7 ArbZG.
Diese Vorschrift gibt den Tarifvertrags-
parteien die Möglichkeit, erheblich von
den strengen Vorgaben des Arbeitszeit-
gesetzes abzuweichen (siehe Kasten zu
den Ausnahmen). Bleibt nur noch die
Frage, was die „exotischen“ Unterneh-
men machen können, für die es bisher
gar keine Tarifverträge gibt, an die man
sich anlehnen könnte. Müssen diese
mangels tariflicher Öffnungsklausel auf
Rufbereitschaftsdienste verzichten, um
sich rechtstreu zu verhalten?
Die Antwort lautet nein, wenngleich
die Lösung mit mehr Bürokratie als in
den traditionellen Branchen verbunden
ist. Nach § 7 Abs. 5 ArbZG gilt hier,
dass in Bereichen, in denen Regelungen
durch Tarifvertrag üblicherweise nicht
getroffen werden, „Ausnahmen durch
die Aufsichtsbehörde bewilligt werden,
wenn dies aus betrieblichen Gründen
erforderlich ist und die Gesundheit der
Arbeitnehmer nicht gefährdet wird“.
THOMAS MUSCHIOL
ist
Rechtsanwalt im Arbeits- und
betrieblichen Sozialversiche-
rungsrecht in Freiburg.
Muster
Mögliche Betriebsvereinbarung zur
Rufbereitschaft (HI2326237)
Die Arbeitshilfe finden Sie im Haufe
Personal Office (HPO). Internetzugriff:
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