personalmagazin 5/2017 - page 41

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05/17 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
eine 80-Prozent-Regel: Weichen die Ein-
stellungsquoten einer zu schützenden
Gruppe um mehr als ein Fünftel von
dem Proporz in der Gesamtpopulation
aller Bewerber ab, ist eine rote Linie
überschritten. Deshalb ist ein enges
Monitoring der durch Personalauswahl
verursachten Auswirkungen („Impact“)
zwingend erforderlich. Bewerberma-
nagementsysteme, die in den USA ein-
gesetzt werden sollen, müssen deshalb
über entsprechende Erhebungs- und
Reportingsysteme verfügen. Hierbei
sind Unternehmen auf das freiwillige
Mitwirken der Bewerber angewiesen,
denn selbstverständlich ist in den USA
eine vermeintlich auswahlrelevante
Frage nach ethnischer Zugehörigkeit
im Personalfragebogen untersagt (was
auch der Grund für den vollkommenen
Verzicht auf Bewerbungsfotos in den
USA ist). Üblich und empfehlenswert ist
daher eine von der eigentlichen Daten-
erhebung abgekoppelte und für Recrui-
ter nicht sichtbare Befragung mit einem
gesonderten „Adverse Impact Questi-
onnaire“, in dem freiwillig Angaben
zur Zugehörigkeit zu einer geschützten
Gruppe ausschließlich für das „Adverse
Impact Monitoring“ gemacht werden
können. Adverse Impact kann auch ent-
stehen, obwohl gute Diagnoseverfahren
eingesetzt werden – in den USA zum
Beispiel systematisch beim Einsatz von
Intelligenztests, weil unterschiedliche
Ethnien auch sehr unterschiedlich in
Tests abschneiden. Aus juristischer Sor-
ge auf solide Tests zu verzichten, ist aber
nicht die richtige Antwort, denn wenn
die Auswahlverfahren nachweislich mit
den Anforderungen der zu besetzenden
Positionen in Zusammenhang stehen
und valide Leistungsvorhersagen erlau-
ben, ist der hierdurch entstehende „Ad-
verse Impact“ sogar legal.
Die Haftung für „Adverse Impact“
liegt immer beim Unternehmen, welches
Personalauswahlverfahren einsetzt.
Seien Sie deshalb vorsichtig bei der Ge-
staltung von Verfahren und Auswahl
von Testanbietern – diese sollten pro-
funde Kenntnisse der US-Regulierungen
und Rechtsprechung haben und in der
Lage sein, unternehmensspezifische
Verfahrenszusammenstellungen, Nor-
mierungen und Adverse-Impact-Berichte
umzusetzen. Vorsicht ist ebenfalls bei der
praktischen Handhabung der Personal-
auswahl geboten: Interviewerschulungen
reichen nicht aus, um sicherzustellen,
dass nicht aus dem Einstellungsinter-
view ein großer Schaden entsteht. In den
USA sind hoher Anforderungsbezug, ho-
he Strukturiertheit (allen Bewerbern für
die gleiche Position die gleichen Fragen
stellen) und Standardisierung (zuvor de-
finierte Bewertungsanker für die Antwor-
ten, a-prori-Regeln für die Auswertung
und Entscheidungsfindung) und eben-
falls eine eindeutige Dokumentation aller
Ergebnisse wichtig. Die längsschnittliche
Speicherung dieser Daten ist in den USA
nicht nur rechtlich möglich, sondern drin-
gend empfohlen.
Background Screening
In Europa ist kaum vorstellbar, welche
personenbezogenen Daten in den USA
gegen geringes Entgelt aus Datenban-
ken von Background-Check-Anbietern
abgerufen werden können. Dazu zählen
zum Beispiel Vorstrafen aller Art, ein
aktueller Finanz- und Schuldenstatus,
vorangehende Wohnsitze und Arbeit-
geber, Informationen über Vergehen im
Straßenverkehr, Terrorverdacht bis hin
zu Informationen über Sexualstraftaten
und Kindesmissbrauch. Partiell können
gesonderte Drogentests in Auftrag gege-
ben werden. Fast alle diese Daten sind
für einen sogenannten Pre-Employment-
Check (unter zuvor erfolgter Zustim-
mung der Betroffenen) abrufbar und
bilden eine ergänzende Datengrundla-
ge für die Negativauswahl ungeeigne-
ter oder mit großen Risiken behafteter
Bewerber. Der Verzicht auf Nutzung
dieser Datenquelle kann als Verstoß ge-
gen die notwendigen Sorgfaltspflichten
ausgelegt werden, zum Beispiel wenn
bei einem LKW- oder Busfahrer nicht
geprüft wurde, ob in der Vergangen-
heit Drogendelikte oder Trunkenheit
am Steuer vorlagen. Freilich entbinden
diese rein historischen Informationen
nicht von weitergehenden Eignungsfest-
stellungen, ein Verzicht hierauf ist je-
doch allein aus Haftungsgründen nicht
zu empfehlen. Beim Einsatz gelten un-
terschiedliche Regeln in verschiedenen
Bundesstaaten.
Fazit: Spannend, aber risikoreich
Recruiting und Personalauswahl in
den USA ist ein spannendes, aber auch
risikoreiches Themenfeld. Juristische
und fachpsychologische Expertise, Ver-
ständnis sowohl der lokalen Regeln als
auch der Bedarfe des standorterrich-
tenden Unternehmens sowie Erfahrung
in der Gestaltung von rechtssicheren
Prozessen und Dokumentationen sind
genauso unerlässlich wie spezifisch für
die USA geeignete Systeme zum Bewer-
bermanagement und Reporting. Unter-
nehmen, die erstmalig den Schritt über
den Atlantik wagen, sollten sich durch
sachkundigen Rat und marktkonforme
Lösungen begleiten lassen oder sich bei
der Einstellung lokaler HR-Verantwortli-
cher vergewissern, dass alle Spielregeln
beherrscht werden.
ANDREAS FRINTRUP
ist CEO
von HR Diagnostics, Inc., New
York und der HR Diagnostics
AG, Stuttgart.
BRANDON G. PHILLIPS
ist
CEO & President Global HR
Research, Inc., Florida.
Die größte Herausfor-
derung beim Recruiting
und bei der Personal-
auswahl in den USA ist
das gänzlich anders or-
ganisierte Bildungs- und
Ausbildungssystem.
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