DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 1/2016 - page 73

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WEG §§ 14 Nr. 3 und Nr. 4, 43 Nr. 1 und Nr. 2
Klage einer WEG gegen Fremdnutzer
1. Streitigkeiten mit Nießbrauchern oder sonstigen Fremdnutzern
stellen keine WEG-Sachen dar, d. h. sie fallen nicht unter § 43 Nr. 1
und 2 WEG.
2. Die Regelungen des § 14 Nr. 3 u. 4 WEG rechtfertigen kein Vorge-
hen gegen Fremdnutzer.
BGH, Urteil vom 10.7.2015, V ZR 194/14
Bedeutung für die Praxis
Auch wenn die Zuständigkeitsregelung des § 43 WEG in der Praxis sehr
weit verstanden wird, muss doch ein Streit der Prozessparteien in einem
inneren Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsverhältnis der Eigentü-
mer stehen. Dies wird für das Verhältnis WEG zu Fremdnutzern verneint.
Wenn der Streitwert 5.000 € nicht übersteigt, dann ist die Differenzie-
rung ohne Bedeutung für den Kläger, da das Amtsgericht als Prozess-
gericht nach dem Geschäftsverteilungsplan (der keine WEG-Abteilung
vorsehen muss!) die Sache richtig zuzuordnen hat. Das Problem stellt sich
dann erst in der Berufung (vgl. § 72 Abs. 2 GVG). Bei höheren Streitwer-
ten muss der Kläger schon in erster Instanz beim Landgericht klagen.
Dr. Olaf Riecke, Hamburg
WEG §§ 22 Abs.1, 23 Abs. 3, 43
Bauliche Veränderung für Behinderten
Begehrt ein Wohnungseigentümer die Zustimmung zu einer baulichen
Veränderung (Garage mit überdachtem Hauszugang für den gehbe-
hinderten Sohn), muss er zuerst die Eigentümerversammlung damit
befassen (Grundsatz der Vorbefassung). Bei einem Negativbeschluss in
der Versammlung muss der Betroffene diesen anfechten; er kann dabei
zugleich das Ergebnis einer positiven Beschlussfassung im Sinne des
§ 22 Abs. 1 WEG herbeiführen. Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anru-
fung der Gerichte besteht erst nach Scheitern eines Positivbeschlusses.
LG München I, Urteil vom 20.4.2015, 1 S 12462/14
Bedeutung für die Praxis
Der Negativbeschluss hat Beschlussqualität, er muss trotzdem – entge-
gen der Formulierung des LG München I – nur dann angefochten werden,
wenn er Sperrwirkung entfaltet, d. h. eine Dauerregelung enthält. Das
ist im Regelfall bei einer bloßen Antragsablehnung zu verneinen (vgl.
LG Hamburg ZMR 2015, 50; LG München I ZMR 2014, 748). Soll die
behindertengerechte bauliche Maßnahme auf der Sondernutzungsfläche
eines anderen Eigentümers begründet werden, muss dieser zustimmen.
Die Vorbefassung der Eigentümergemeinschaft ist nur ausnahmsweise
entbehrlich, z. B. wenn evident keine nachteilige Wirkung i.S.d. § 14 Nr. 1
WEG eintreten könnte.
Dr. Olaf Riecke, Hamburg
WEG § 15 Abs. 2
Anleinpflicht für Hunde in WEG-Anlage
Ob die in einem Mehrheitsbeschluss enthaltene, nicht gegen ein
gesetzliches Verbot verstoßende Erlaubnis, Hunde auch unange-
leint auf einer Rasenfläche des Gemeinschaftseigentums spielen
zu lassen, ordnungsmäßigem Gebrauch entspricht, kann nicht
generell bejaht oder verneint werden, sondern beurteilt sich
anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles.
BGH, Urteil vom 8.5.2015, V ZR 163/14
Bedeutung für die Praxis
Es liegt noch im Verwaltungsermessen der Eigentümergemeinschaft,
eine für Hundehalter derart großzügige Regelung zu beschließen.
Auch wenn dies nicht sinnvoll sein sollte, darf ein Gericht hier nicht
vormundähnlich die Regelung für ungültig erklären. Ggf. müssen
die übrigen Eigentümer bei Verstößen der Hundehalter gegen ihre
Reinigungspflichten einen abändernden Zweitbeschluss beantragen
oder gegen die Störer kraft ihres Individualanspruchs (§ 1004 BGB)
vorgehen. Für sog. Kampfhunde sollte jede WEG Maulkorb- und
Leinenzwang beschließen. Um dem Bestimmtheitsgrundsatz zu ge-
nügen, sollte auf eine landesrechtliche Kampfhundeverordnung und
deren Auflistung ausdrücklich Bezug genommen werden.
Dr. Olaf Riecke, Hamburg
WEG §§ 43 Nr. 4, 46; ZPO § 167
Fristgemäße Beschlussanfechtungsklage
Bei der Berechnung der noch hinnehmbaren Verzögerung von 14
Tagen ist nicht (mehr) auf die Zeitspanne zwischen der Aufforderung
zur Einzahlung der Gerichtskosten und deren Eingang bei der Ge-
richtskasse, sondern darauf abzustellen, um wie viele Tage sich der
für die Zustellung der Klage ohnehin erforderliche Zeitraum infolge
der Nachlässigkeit des Anfechtungsklägers verzögert hat.
BGH, Urteil vom 10.7.2015, V ZR 2/14
Bedeutung für die Praxis
Während das Landgericht noch die fristgerechte Zustellung (vgl. § 167
ZPO) der am letzten Tag der Monatsfrist eingereichten Anfechtungsklage
verneint hatte, berechnet der BGH nunmehr die Fristen wesentlich kläger-
freundlicher. Im BGH-Fall wurden am 16.6.2011 Beschlüsse gefasst; am
18.7.2011 (Montag) ging die Klage – insoweit nicht etwa verfristet - beim
zuständigen Gericht ein. Dem Anwalt der Klägerin ging am 31.8.2011
die an ihn versandte Aufforderung zur Zahlung des Vorschusses zu; der
Vorschuss ging am 19.9.2011 bei der Justizkasse ein. Der BGH stellte auf
einen Zugang der Vorschussanforderung bei der Klägerin am 5.9.2011
(Montag) ab, womit keine schuldhafte Verzögerung von mehr als 14
Tagen vorlag. Ergo: Wer drei Monate nach der Versammlung eine Klage als
Verwalter erhält, kann nicht sicher mit einer Verfristung rechnen.
Dr. Olaf Riecke, Hamburg
WEG-RECHT
1...,63,64,65,66,67,68,69,70,71,72 74,75,76
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